Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
hinter mir wurde das Klacken der Bahn lauter, der Shelly selbst war leise wie der Nebel. Ich musste erkennen, dass der Professor nicht lediglich leer gedroht hatte; weitere sich eckig bewegende Schemen schoben sich durch den Dunst, und ich wusste nicht einmal, ob sie auf Augen angewiesen waren, um mich zu sehen.
Herzschlag und Atem stockten für einen kurzen Augenblick, in dem ich einen Entschluss treffen musste. Ich wählte eine Treppe, die mich auf die nächste Ebene Æstas führen würde. Dort konnte ich mindestens eine menschengroße Gestalt ausmachen, doch die Treppe würde ihn behindern.
„Erinnere dich an das Geräusch, das sie gemacht haben, als sie Æmelie getötet haben“, ermahnte ich mich innerlich. „Sie sind schneller und stärker, als sie aussehen.“
Doch sie waren plump – ich durfte lediglich nicht in ihre Nähe kommen. Als mein Herz wieder zu pumpen begann, floh ich die Treppe hinab. Der Nebel wirbelte, eiskalt war der Handlauf unter meinen haltsuchenden Fingern.
Als den Shelly und mich noch zwei Treppenstufen trennten und er schon seine Arme nach mir ausstreckte, erschien eine bedrohliche, massige Gestalt in dem weißen Nebel, bäumte sich auf, stieß einen grässlichen schrillen Schrei aus und schlug den Shelly mit wirbelnden Gliedmaßen zu Boden.
Es war ein Pferd – ein schwarzer Rappe, und ich benötigte einige verdatterte Wimpernschläge, um diese einfache Tatsache an mich heranzulassen, um keine erneute Teufelei hinter dem Ungetüm zu vermuten. Doch das Pferd, wo auch immer es hergekommen war, befand sich ebenfalls in Gefahr, denn am Ende der Treppe, das sah ich nun, hatten mehrere Wesen auf mich gelauert – mindestens einer davon war ein Mensch, denn er stieß einen wütenden Warnruf aus.
„Hier!“, wirbelte eine Stimme zusammen mit einem geworfenen Gegenstand auf mich zu. Ich hob eine Hand, wurde hart seitlich an den Knöcheln getroffen und nahm die andere Hand zu Hilfe, um zu ergreifen, was mir zugeworfen worden war. Es war ein dünner Spazierstock, den die silbernen Beschläge und das dunkle, kostbare Holz nach einer filigranen Stütze aussehen ließen. Ich zögerte nicht lange und setzte die restlichen Stufen hinab. Eine Muskete wurde abgefeuert, im Nebel spritzte das Feuer aus der Mündung, viel mehr konnte ich nicht sehen und hoffte, diesen Moment der Verwirrung zu überleben. Den Spazierstock am Knauf packend, drang ich im nächsten Moment auf den Schützen ein, er stieß mit dem Gewehrlauf nach mir, verfehlte mich, als ich ihm die Seite zuwandte und wusste sich nicht zu erwehren, als ich ihm den Stock, einem langen, langweiligen Drill folgend, der sich dennoch eingebrannt hatte, gegen die Schläfe schlug. Er stöhnte auf, ich setzte nach, sicherte seine Muskete mit der Hand und stieß ihm gleichzeitig das mit Leder ummantelte Ende des Stocks in die Kehle und drückte ihm den Adamsapfel in die Speiseröhre. Er krächzte gequält, hustete, rang nach Luft und schlug nach hinten um. Noch einen Schritt tat ich auf ihn zu, mich über ihm befindend, zertrümmerte ich ihm mit einem knallenden Hieb das Nasenbein und den Kiefer.
„Naðan! Sitzen Sie auf!“, befahl eine herrische Frauenstimme, doch etwas in mir wollte sich erneut einem Gegner zuwenden. Eine Hand zerrte an meinem Kragen, eine Reitgerte schlug über mich hinweg und traf jemanden im Gesicht, den das jedoch nicht zu scheren schien. Er roch nach Leiche und der Flüssigkeit, in welcher er haltbar gemacht worden war. Sein Kopf bewegte sich nicht einmal, als die dünne Haut aufplatzte, erst die Hufe des steigenden Pferdes beförderten ihn zu Boden.
„Naðan!“, schrie die Frau, und ich reagierte nun endlich, stellte einen Fuß in den Steigbügel und zog mich hinter der Gräfin von Niederbroich in den Sattel. Das Pferd schnaubte unruhig.
„Wir gehen! Rückzug!“, befahl die Gräfin, und nicht nur das Pferd, sondern auch drei Gestalten, die ich im Nebel für Männer des Professors oder Schlimmeres hätte halten können, gehorchten. Einer davon keuchte und ging gebückt – vielleicht der Unglückliche, den der Musketenschuss getroffen hatte? Ein anderer wollte ihn stützen, doch ein Shelly griff nach dem Leib des Fliehenden und riss ihn in den Nebel zurück.
„Nein!“, hörten wir sein schriller werdendes Kreischen. „Hilfe!“
„Schnell, fort von hier!“, zischte die Gräfin kalt und erhob dann die Stimme. „Professor Roþblatt! Dafür werden Sie bezahlen!“
„Gräfin Elsbeð!“, kam die Antwort
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