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Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Vogt , Christian Vogt
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schaudern ließen. Die Häuser erschienen mir wie ein Relikt der Vorzeit, in der die Vikingar Europa unsicher gemacht und ihre Dörfer und Städte an den Küsten und Flussläufen errichtet hatten. Wie in einer anderen Welt trotzten die mit Schnitzereien verzierten Giebel dem Wind – Drachenköpfe, Hundeschnauzen und die scharfen Schnäbel von Raben warnten ihre Erbauer vor Unbill. Die Fenster jedoch waren mit Butzenscheiben verschlossen, die Dächer der größeren Straðas, Gehöfte, mit Ziegeln gedeckt. Auf den ersten Blick beinahe unbemerkt hatten auch hier die Möglichkeiten der gottgesegneten Zivilisation Einzug gehalten.
    Dennoch fühlte ich mich wie unter Wilden, als Kinder, bei denen ich die strähnigen Haare kaum von der verfilzten, fellgefütterten Kleidung unterscheiden konnte, schreiend und johlend hinter uns her rannten, als alte Weiber in bestickten Leinengewändern aus ihren Türen starrten, als Tomke mich mit raschem Schritt in das Haus ihres Vaters, des Redjevens Hauke, führte.
    Dieses Haus – dunkle, webtuchverhangene Wände umstanden einen Raum, in welchem sicherlich das ganze Dorf seine heidnischen Feste feiern konnte – war wie aus einer alten Sage entsprungen. Egil Skallagrímurson aus den alten Vikingarsagen hätte auf dem wuchtigen Stuhl des Häuptlings sitzen können oder Eirik der Rote. Als meine Begleiter ihre Mützen abnahmen, sah ich die eigenartige Haartracht, die man den Friesen nachsagte. Nicht jeder schmückte sich mit jener Unsitte, bei der der Schädel geschoren wurde bis auf einen Hahnenkamm in der Mitte des Hauptes, aber jene, die ihn trugen, wirkten noch einmal so altertümlich barbarisch. Eiken starrte mich nieder, sein buschiger Bart ging in das raspelkurze Haupthaar über, welches sich dann zu einem drahtig-dicken Kamm erhob. Ich versuchte mich an einem schüchternen Lächeln in die Runde.
    „Dochter!“, erscholl die Stimme des Redjevens durch den Raum, und auch diese wies eine kratzige Kante auf. Ich fragte mich sofort, ob es stimmte, was man behauptete: Dass die Friesen ihren Häuptling schon länger demokratisch wählten als die Franzosen. Der Redjeven stand auf und kam auf mich zu. Er war kleiner, als ich es vom Häuptling eines wilden Stammes erwartet hätte – wäre seine eindrucksvolle Frisur nicht gewesen, hätte er nicht an meine Scheitelhöhe herangereicht. Er war nicht einmal besonders muskulös, doch er hatte etwas an sich, einen kalten, klugen Hauch. Dazu trug er das gleiche sanftmütige Lächeln wie seine Tochter, das so schnell in Hohn umschlagen konnte.
    „Foor!“, erwiderte diese, und der Redjeven umarmte Tomke und blieb eine ganze Weile schweigend so stehen. Dann fuhr Tomke auf Hochdeutsch fort: „Wir bringen dir Besuch. Die Gräfin will ihn in Sicherheit wissen.“
    „Redjeven Hauke“, eilte ich mich zu sagen, denn dies hatte ich mir gemerkt, „erlauben Sie mir, mich vorzustellen.“
    Er grinste und löste sich von seiner Tochter. „Ich erlaube es dir.“ Sein Hochdeutsch wurde von einem starken Einschlag verunziert, doch vom Wortschatz her beherrschte er es wie seine Muttersprache.
    „Mein Name ist Naðan von Erlenhofen. Ich bin auf Æsta in einen … Streit verstrickt worden und musste von dort fliehen.“
    „Æsta“, brachte der Redjeven verächtlich hervor. „Die Stadt, die schwarzen Schnee bringt. Die Insel, die keine ist. Die Menschen zu Sklaven macht.“
    „Ich teile Ihre Abneigung“, beeilte ich mich zu sagen.
    „Wenn sie hierherkommen mit ihrer schwimmenden Stadt und ihren Luftschiffen, Tomke – ich werde wegen der Gräfin keinen Krieg anzetteln!“, bellte er.
    „Keinesfalls“, schaltete ich mich wieder ein. „Das ist auch gar nicht nötig. Ich habe nicht die Absicht hierzubleiben – ich werde, wenn es geht, nach Aquis zurückkehren und von dort aus Maßnahmen gegen meinen Feind auf Æsta in die Wege leiten. Ein Gerichtsverfahren vielleicht.“
    Hauke lachte, und andere im Raum schlossen sich an. Es hatte so verlockend geklungen – ein Gerichtsverfahren aus der Ferne, nach einer langen und beschwerlichen Reise in den Norden und wieder zurück.
    Sie verfielen wieder in ihre Sprache und argumentierten hin und her.
    „Redjeven Hauke“, versuchte ich es erneut, „Sie stehen da Dingen im Weg, die sehr wichtig sind!“
    „Wir werden das nicht jetzt entscheiden. Nicht hier. Mein einziges Kind ist zurück – nach einem Jahr!“ Erneut prasselten die Stimmen der Heimkehrer in ihrer eigenen Zunge auf mich ein, und ich

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