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Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Vogt , Christian Vogt
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verschloss meine Ohren und kehrte in mich selbst zurück. Ich sah Ynge an.
    „Sitze ich jetzt hier fest? Unter friesischen Barbaren?“
    „Es sieht ganz danach aus“, seufzte die Puppe. „Aber Hauptsache, du lebst und bist nicht beim Professor.“
    „Den Mörder von Æstas End haben sie mich genannt! Und sicherlich alle Todesfälle der letzten Wochen auf meinen Schultern abgelegt. Wie praktisch.“
    Mir kam ein Gedanke, der mich bis ins Mark durchfuhr. „Wenn diese Meldung schneller als ich in Aquis ist … dann sieht es schlecht aus für mich.“ Ich drehte mich herum. Eiken betrachtete mich mit einem Gesichtsausdruck, als wäre ihm erst jetzt aufgefallen, dass ich den Verstand verloren hatte. „Ich muss wirklich sofort nach Aquis aufbrechen!“
    Er packte mich unsanft und brachte mich hinaus in einen Ziegenstall. Die Kälte drang auf mich ein, als würde sie mich hinterrücks mit einem Messer überfallen. Im Ziegenstall war es wieder ein wenig wärmer. Eine weiße Ziege, den Leib geschwollen von sicherlich zwei Zicklein, starrte mich strafend an. Der Drang, ihr Gesicht, die Augen mit den dämonisch gespaltenen Pupillen zu zeichnen, wurde übermächtig, doch meine Finger mussten zittern und abwarten.
    „Du schweigst, bis du gefragt wirst, aarem Knech!“, fuhr Eiken mich an. Ich schwieg beleidigt. Warum war eine Frau wie Tomke mit einem Mann wie Eiken verheiratet, fragte ich mich, äußerte diese Frage jedoch nicht mit meiner Zunge, sondern lediglich mit meinem Blick.
    Ich streichelte die Ziege, sog den Anblick ihrer Augen und ihre Körperwärme in mich auf und wartete das Fest der Heimkehrer ab.

    Es überraschte mich, nicht nur Friesen in der Halle des Redjevens zu sehen. Nein, offenbar war Fositeslun ein wahres Piratennest, im Stil infiziert von jenen, die als erste raubend über das Meer gekommen waren, und bewohnt von jenen, die noch zu unseren Zeiten die Lüfte unsicher machten.
    Neben denen, die ich in Gedanken „Ureinwohner“ nannte, also den Männern und Frauen mit wilden Frisuren und bunt durcheinander geworfenen Kleidungsstücken, die teils erbeutet, teils traditionell geschneidert waren, saßen auch jene am Tisch, die sicherlich einst im Auftrag der Hanse oder der kaiserlichen Luftwaffe gefahren waren. Es waren grauhäutige, abgearbeitete Männer und Frauen darunter, die vielleicht vom Kanzler Æstas oder einem der zahlreichen anderen habgierigen Plutokraten ausgebeutet worden waren – in Fabrik, Mine oder Tagebau. Zum größten Teil trugen sie weiterhin ihre ausgebesserte Arbeiterkleidung, manche hatten sich jedoch mit erbeuteten Abzeichen geschmückt, hatten sich die Ohren wild mit Schmuck durchstochen, um ihr trauriges Aussehen den Friesen anzugleichen. Doch ein wenig Körperschmuck, ein paar gestohlene Abzeichen und der Wahlspruch „Lever dood as Slaav“ machten sie noch nicht zu Friesen; es war nicht so, dass jeder der Friesen meinem Bild vom kerngesunden, physisch imposanten edlen Wilden entsprochen hätte – es gab Gebrechen, es gab Krüppel, es gab Kranke und Blinde, Waisen und Entstellte. Einen solchen Tribut fordert das Leben überall, jedoch selten in dem Maße, in dem eine Stadt wie Æsta es fordert.
    Ich wurde an ein Ende der Tafel gesetzt und bekam gewässertes Bier und einen Eintopf mit einigen Fetzen Hammelfleisch darin. Das Leben in einer Einöde wie Helgoland war sicherlich im ewig anmutenden Winter schwierig zu bestreiten – Aquis hatte wenigstens mehr oder weniger passierbare Handelswege in den Süden, Luftschiffverkehr mit Spanien und Italien, um den Bedarf des täglichen Lebens zu decken. Wer handelte schon mit Friesen? Zudem war man es gewohnt, dass sie sich seit jeher zu holen pflegten, was sie benötigten, und als es ihnen gelang, das erste Luftschiff zu kapern, hatte es nicht mehr lange gedauert, bis Norddeutschland vor der Knute der friesischen Piratenflottille zitterte.
    „Und?“, wandte ich mich an das Mädchen, das neue Krüge an den Tisch brachte – sie war eine zierliche Frau mit großen Augen, die jedoch nicht zu den Piraten zu zählen schien, sondern eine Art Dienstbotendasein führte. Sie schlug sofort die Augen nieder, als ich das Gespräch mit ihr beginnen wollte. Ich beließ es bei dem einen Wort und wandte mich meinem Banknachbarn zu.
    „Seid ihr alle Piraten?“, fragte ich und lachte gleich darauf, um meiner Frage den Anschein eines Scherzes zu geben. Der Eintopf mit den herzhaft gewürzten Graupen, dem Kraut und den Bohnen schmeckte mir

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