Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Vogt , Christian Vogt
Vom Netzwerk:
Tomke?“, fragte ich wagemutig, denn an die Stimme der Frau, die mit ihrem Rock davongeflogen war, konnte ich mich nicht genau erinnern.
    „Nein. Ich bin Tomke“, erscholl es hinter mir vom Durchgang zum Steuerstand, und da erinnerte ich mich wieder. Die Stimme war ein wenig rau gewesen, so wie ihre Haare ein wenig zerzaust gewesen waren. Es war die friesische Wildheit, die aus ihr hatte herausbrechen wollen, von jedem unbemerkt. Ich verdrehte meinen Kopf, und nach einigen Augenblicken erbarmte sie sich und trat in mein Sichtfeld.
    Sie trug einen marineblauen, mit Fell gefütterten Mantel, wie die Æronauten der Lufthanse es tun. Als ich genau hinsah, konnte ich die Umrisse eines abgerissenen Abzeichens der Lufthanse am Revers erkennen. Mich schauderte – hatte sie jemanden dafür umgebracht? Ihr Gesicht war von Schal und Mütze beinahe vollständig verhüllt, ebenso wie ihre störrischen, dunkelblonden Haare. Sie trug Hosen und darüber ausgetretene Stiefel. Ein wahres Mannweib, ganz anders als auf dem Fabrikantenball.
    „Naðan“, sagte sie und lächelte, was ich allerdings nur an ihren Augen zwischen Mütze und Schal erkennen konnte. Dieses Lächeln jedoch war ganz und gar ehrlich und von Wiedersehensfreude erfüllt.
    „Der Hagere hat gesagt, ihr wollt Lösegeld erpressen! Aber die Gräfin – sie will mich in Sicherheit bringen. Weil ich dich habe entkommen lassen, auf dem Ball, oben, als du mit dem Rock …“
    „Ich weiß, ich weiß“, unterbrach sie mich, und dann verwandelte sich ihr Lächeln ganz langsam in etwas Spöttisches, beinahe Höhnisches. Mein Mut sank in meinen Magen und ließ mich mit einem sehr schlechten Gefühl zurück.
    „Hättest du mich denn aufhalten können, Naðan? Bin ich dir etwas schuldig?“ Sie kam nahe heran, so dass ich ihren Atem fühlen konnte. „Ich bin eine freie Friesin. Wir werden sehen, ob dir ein Besuch bei uns ebenso schal erscheint wie mir ein Besuch bei euch.“
    „Ich will nicht zu euch – wo auch immer das ist! Schreibt an meine Eltern! Sie werden Lösegeld zahlen. Was für eine …“ Ich wurde wütend. „Was für eine unglaubliche Zeitverschwendung!“
    Sie lächelte. „Der verrückte Mann mit der Puppe hat sicherlich andere Dinge mit seinem Leben vor, das bezweifle ich nicht. Aber Elsbeð hat dich in unsere treusorgenden Hände gegeben. Nun bist du uns auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.“ Sie wandte sich um, die würfelnden Piraten grinsten.
    „Tomke!“, rief ich verzweifelt aus. Einer der Piraten erhob sich. „Du kennst sie?“, bellte er. „Tomke sagst du zu ihr. Tomke, Tomke!“
    Mit wenigen Schritten durchquerte er den leeren Frachtraum, der mir ausgedehnter erschien, als er war, und rückte mir so nah, dass ich seinen dunklen Bart beben sehen konnte, als er sprach. „Tomke es miin Wüf!“
    „Ich … ich soll dein … dein Weib? Also deine Frau von Eppo grüßen. Hat er mir gesagt, unten“, pfiff meine lächerliche Stimme. Tomke lächelte hinter ihrem bärtigen, bärenhaften Mann.
    „Scheiß auf Eppo!“ Ein Speicheltröpfchen landete auf meiner Oberlippe. Ich machte mich auf weiteren Speichel gefasst, doch er hatte sich umgedreht und bedachte seine Frau mit einem bösen Blick. Sie zuckte mit den Achseln, sie wechselten einige friesische Worte, bevor beide ihrer Wege gingen. Er setzte sich erneut zum Ofen und bedachte mich mit einem warnenden, funkelnden Blick, sie ging zurück an ihre Arbeit. Offenbar konnte sie ein Luftschiff fliegen.
    Æmelie waren Luftschiffe immer zu plump. Sie wollte richtig fliegen. Mit Flügeln, leicht und hoch und aus eigener Kraft.
    Dass ich erfror, störte nach wie vor niemanden.

    In eben jener Sekunde, in der ich mich bereits innerlich von Fingern und Zehen verabschiedete, in der ich glaubte, eine von Eis verkrustete Jammergestalt abzugeben, sank das Luftschiff. Die Propeller nahmen ein anderes Geräusch an, Gas wurde zischend abgelassen, und wir sanken aus der Wolkenbank herab. Tomkes Ehemann und die anderen sprangen auf und begaben sich an ihre Positionen. Ich bat meine Finger, noch ein paar Minuten durchzuhalten. Befehle, jedoch alle auf Friesisch, gellten durch das Schiff, Stiefel klapperten auf Bodengittern.
    Während ich allein im Laderaum vor mich hin fror, erreichte die Frijheid Helgoland, von den Friesen, deren Vorposten es war, auch Fositeslun genannt. Ich fühlte mich bereits mehr tot als lebendig und versank in einem Zustand der Jämmerlichkeit, aus welchem mich nicht einmal Ynge

Weitere Kostenlose Bücher