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Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Vogt , Christian Vogt
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war: ein Ort des Fortschritts und der Zivilisation.
    Auch die Friesen, die ohne ihre Beutezüge kaum überleben würden, profitierten davon, dass Europa in Wissenschaft und Technik rasant voranschritt. Irgendwann würde es sogar so weit sein wie die afrikanischen Nationen und würde sich dann ebenfalls isolieren und zum Mythos werden.
    Vielleicht endete dieser Fluch des Eises auch irgendwann. Dann würde es um diese Zeit – Ende Februar musste es sein oder Anfang März – tauen und das Grün wird aus der Erde sprießen.
    Um das Dorf herum war der Schnee zum größten Teil geebnet, ob von emsigen Schaufeln oder zahlreichen Fußtritten wusste ich nicht. An verschiedenen Stellen befanden sich Schuppen und Scheunen und kleinere Lager, die meisten, in die ich hinein lugte, waren jedoch mit dem angefüllt, was der Insel am meisten fehlte: mit Holz.
    „In mancher Hinsicht ähnelt Helgoland doch Æsta“, überlegte ich, setzte mich auf einen Hackklotz und genoss erneut die Aussicht hinüber zur Nebeninsel. Jemand war dorthin unterwegs, zwei winzige Gestalten mit langen Stäben oder Speeren. Sie hatten nicht eben ein langsames Tempo angeschlagen, nein, sie rannten über die tückische, zerfurchte Landbrücke. Ich hielt die Luft an, als die beiden Läufer halsbrecherisch auf eine Furche zusteuerten, in der auf sicherlich fünf Metern Breite das Meerwasser gurgelte und die Wellen herausfordernd schäumten. Der vorderste Läufer stach als erstes seinen Stab in den Untergrund, schwang sich im vollen Lauf daran hoch, und wagte einen irrwitzigen Sprung. Weit hinter der gefährlichen Spalte landete er auf den Füßen und wandte sich nach einigen Schritten herausfordernd nach seinem Begleiter um. Dieser zögerte nicht, befand sich bereits in der Luft und landete nur unweit von seinem Kameraden entfernt. Ich schüttelte den Kopf, als sie den wilden Lauf hinüber nach Hallem auf diese Weise fortführten.
    „Hast du das gesehen?“, fragte ich die Puppe. Sie sprach kaum noch, und die Furcht, sie zu verlieren, durchzuckte mich bis ins Mark. „Du wirst doch nicht aufhören zu sprechen, oder, Ynge? Du weißt, wie wichtig du mir bist.“
    Vielleicht sprach sie tatsächlich nicht, das Geplapper der Verrückten in Æstas Turm konnte wer weiß was bedeutet haben. Niemand anders vermochte sie zu hören, und was war wahrscheinlicher, als dass ihre Stimme eine Ausgeburt meiner trauernden Gedanken war? Nun, da ich meine liebe Ehefrau tot gesehen hatte, würde die Stimme vielleicht schwinden, und ich würde irgendwann begreifen, dass sie wahrhaftig gegangen war.
    Hatte ich nicht anfangs sogar gedacht, Æmelie hätte einen Weg gefunden, ihre Gedanken in die Puppe zu übertragen? Das glaubte ich nun nicht mehr. Nein, wenn ich in mich ging und ganz genau nachforschte, so gestand ich mir ein, dass es ein Zeichen des Wahnsinns war, dass ich die Puppe sprechen hörte. Vielleicht hatten es sich die anderen Wahnsinnigen deshalb auch eingebildet. Vielleicht verleiteten einen diese Puppenaugen dazu, sich einzubilden, sie spräche. Jedoch wusste sie manche Dinge, bevor ich sie wusste.
    „Du irrst dich in mir“, sagte Ynge da, und ich drückte sie an mich vor Freude – es war mir egal, was sie mit ihren Worten meinte. Sie sprach, und wenn sie davon sprach, dass ich mich irrte, konnte sie kein Teil meiner Selbst sein. Oder?
    Zurück im Dorf versuchte ich, an Papier zu kommen, um meine Bleistiftstummel und Kreidestücke ihrer Bestimmung zuzuführen, doch an manchen Sachen schien unter den Piraten Mangel zu herrschen. Selbst nannten sie sich Likedeeler, was laut Ðomas soviel wie „Gleichteiler“ bedeutete, weil sie untereinander die Beute wie Brüder teilten. Nun, Papier jedenfalls schien nicht dazuzugehören.
    Helgoland war nicht wirklich das, was ich unter einer Piratenhochburg verstanden hätte – vielmehr begriff ich die Insel als sicheren Hafen, den niemand außer den Friesen und den Likedeelern anzusteuern wagte. Ðomas hatte jedoch schon andere Teile der friesischen Gestade bereist und wusste, nachdem er mir meine Äußerung zu seinen Zähnen verziehen hatte, so Manches zu berichten von den Querelen mit der Lufthanse, über die Schifffahrt, die die Friesen zumindest in den Küstengebieten gemeistert hatten, von Beutezügen im Deutschen Reich, gar bis hinunter nach Vienna und zu Schlupfwinkeln im gletscherüberzogenen Ængland und Dænemark.
    Helgoland jedoch schien mir ein Ort zu sein, an dem sich nicht viel veränderte im Lauf der

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