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Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Vogt , Christian Vogt
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Gischt sprühte über die Reling, der Fels sah so imposant und großartig aus, und ich weinte mit einem Mal, ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen, verbarg mich vor dem Anblick des steinernen Rosses, vor der lebendigen Welt, die auf mich einstürmen wollte. Ich wünschte mich tot, oder ich wünschte die Welt tot. Oder ich wünschte Æmelie lebendig. Ich war so nah an etwas Schönem, und doch verblasste alles Schöne, scheiterte und brach als Eisscholle entzwei an der Leere, die in mir gähnte wie der Riss am Puppenkopf.
    Ich schluchzte, und die Geräusche, die ich dabei von mir gab, waren so erstickend, so rau, so unmenschlich, dass ich dachte, ich würde daran sterben. Ich presste meine Stirn gegen Ynges Bauch oder Rücken und weinte in ihr Kleidchen und schämte mich gleichzeitig so entsetzlich.
    Irgendwann gelang es mir, aufzutauchen. Ich rang nach Luft, als die Welt um mich herum wieder an Klarheit gewann, ich zog den Rotz hoch und wagte es, den Blick zu heben. Etwas war warm neben mir, und das war Tomke, die einen Arm um meine Schulter gelegt hatte und mich nicht ansah. Vorsichtig hatte sie ihren Kopf an mich gelehnt und sah hinaus zu den Felsen, die deutlich näher gekommen waren.
    Die Wellen trieben uns hin und her, sorgten dafür, dass sich die Furcht vor eisigem Tod durch den Verlust meiner Fassung kämpfte und die Oberhand gewann.
    „Sollten wir nicht … willst du nicht das Boot wieder …“
    „Hm“, machte Tomke und setzte sich auf. Sie sah mich nicht an, sondern machte sich an die Arbeit und ruderte das Boot wieder ein Stück hinaus aufs offene Meer. Ich sah von Helgoland weg in die Endlosigkeit. Im Westen würde sich irgendwann die Küste der öden ænglischen Insel erheben, welche bis auf wenige große Städte nicht mehr besiedelt wurde.
    Und jenseits davon? Was mochte dort sein? Das Meer verriet es mir nicht.
    Mit zitternden Fingern nahm ich den ersten Briefbogen und ließ den Bleistift darüber wandern. Fing die Linie der Küste ein. Den steinernen Brückenbogen, der wie eine Laune der Natur den Stak mit der Insel verband. Aber meine Finger waren eisig, und mein Inneres war taub.
    Ich blickte zu Tomke hinüber, die an der Ruderpinne saß und über das Meer sah.
    „Irgendwann werde ich weiter segeln als irgendwer zuvor. Oder fliegen.“ Hatte sie es gesagt, oder hatte ich es mir nur eingebildet, weil sie aussah, als würde sie es sagen? Wie alt mochte sie sein? Fünf, vielleicht sechs Jahre jünger als ich? Hatte ich mich nicht in ihrem Alter in eine Frau verliebt, die geglaubt hatte, sie könne eine Wissenschaftlerin werden? Glaubten Menschen in diesem Alter nicht, dass das Leben alles für sie bereithielte, was man sich vorstellen konnte? Wie schnell konnte dieser Eindruck vergehen, konnte man sich bewusst werden, dass man nur eine rasche Laune des Schicksals war. Ein Blinzeln im Leben der Götter. Gottes.
    „Ich verstehe, dass du mich nicht magst.“
    „Es ist nicht, dass ich dich nicht mag“, sagte ich mit zittriger Stimme und versuchte, meine Hände zu wärmen.
    „Es ist so, dass ich dir egal bin“, stellte sie mit einem bitteren Triumph fest.
    „Nein. Naja, nicht egal.“
    „Aber ich bin dir auch nicht wichtig.“
    Ich blickte sie an und zauderte. Das Geschöpf mit dem schwarzen Rock, das aufspringen und davonfliegen würde.
    „Sie hat verdient, dass du ehrlich bist“, riet Ynge.
    „Ja. Du bist mir nicht … nicht wichtig.“
    Trotzig schob sie die Unterlippe vor. „Fein.“
    „Ich wollte dich nicht verletzen. Ich mag dich. Aber … im Moment ist mir niemand wichtig.“
    „Nur die Puppe.“
    „Natürlich die Puppe. Aber sie ist ja eigentlich nicht wirklich Jemand . Sie zählt nicht.“
    „Danke“, sagte die Puppe beleidigt. Es war Æmelies Stimme, musste ich mir ins Gedächtnis rufen. So sehr verband ich die Stimme mittlerweile mit Ynge, dass ich mich daran erinnern musste, dass es die Stimme meiner Frau war, die aus dem geschlossenen Puppenmund herauskam.
    „Hier“, sagte Tomke schroffer als zuvor und reichte mir ein gehäkeltes Päckchen von der Größe einer Hand. Ich griff danach, und es war warm. Es war eine dieser kleinen Kohlestabheizungen, die auch auf Æsta erstanden werden konnten, um Hände oder Körper zu wärmen. Sie verströmte genug Wärme, um meine Finger ruhiger werden zu lassen. Tomke holte derweil etwas Käse, hartes Brot und Milch hervor und bereitete uns ein karges Mittagsmahl.
    „Dass dir alle anderen auch egal sind, tröstet mich“, sagte sie

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