Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
schriller.
„Scheiß-Viech!“, knurrte Ðomas, doch in diesem Moment fuhren wir auseinander – der Becherrand war heiß geworden, und als ich die Augen aufriss, sah ich Dampf aus dem Tonbecher steigen.
„Was zur Hölle!“
Die Tiere gebärdeten sich wie wild, die jungen Zicklein hatten sich in den hintersten Winkel ihres Verschlages zurückgezogen, die Muttertiere rollten mit den Augen.
Die Stalltür wurde aufgestoßen, ich packte Ynge und drückte sie an mich, und auch ihr Puppenleib war warm – warm wie der Körper eines Menschen.
Ein fluchender Friese stand in der Stalltür, und Ðomas raffte rasch das Tuch zusammen, stieß den Becher um und verschüttete das kochende Wasser auf dem Boden.
Atem stieg in Wolken vom Mund des Wilden und dem Maul der Tiere auf, und der Stall war eiskalt, kalt wie das Herz des verfluchten Eisberges.
„Was bedeutet das?“, fuhr ich Ðomas an. „Hör auf zu zaubern!“
Er entschuldigte sich wortreich bei dem Friesen und knüllte das Leintuch dabei zwischen seinen Händen.
„Ðomas, was heißt das? Hast du etwas gesehen? Gehört? Weißt du etwas?“
Der Friese beförderte uns mit einem Tritt aus dem Stall und fluchte uns hinterher, doch Ðomas grinste breit.
„Das Glas sagt Chesad, mein Freund. Das ist die erste Stufe des Sichtbarwerdens.“
„Was wird sichtbar?“ Was für Götter und Geister warteten hier auf Helgoland auf mich? Fosites Land. Aber solch ein Geist war nicht in meiner Puppe – wie sollte er in Venedig hineingefahren sein? Es war Æmelie. Es musste Æmelie sein. „Ðomas, was wird sichtbar?“
„Das musst du selbst wissen, aber entweder du oder diese Puppe oder ich … in einem von uns steckt mehr, als offenbar ist.“
Ich fühlte aller Blicke auf mir ruhen. „Der Hurenmörder hat im Ziegenstall düsteren Göttern geopfert“, mochten sie wohl von mir denken, und schaudernd wandte ich mich von diesen Gedanken und denen, die sie hegten, ab.
Tagelang suchte ich stets die Landspitze auf, an der die Felssäule Naðurn Stak vorgelagert ins Meer ragte, überlegte, von welchem Punkt aus ich sie malen wollte, doch meist kam ich zum gleichen Schluss: Am eindrucksvollsten wäre sie, wenn man sie aus dem Wasser betrachtete, und zwar von jener Seite, von der die Wellen am energischsten gegen Helgoland anrannten, und auf der die Steilküste spröde zu ihrem höchsten Punkt aufragte. Aber dazu müsste ich fliegen, wie die Lummen, die nun in den Felsen zu nisten begannen. Es hatte seit Wochen nicht mehr geschneit, und ihr schnarrender Ruf schallte nun über die ganze Insel. Kinder zogen mit Steinschleudern und Netzen aus, um sie zu fangen, und die Mütter warfen das Fleisch in die Suppe.
Die Länge der Tage brachte es mit sich, dass ich erst spät und verfroren wieder in der kleinen Hütte ankam, die mir mit Ðomas, Friedrick und drei anderen Männer zugeteilt worden war. Wir aßen Brot und dicke Bohnen, dazu einige Krustentiere aus dem Meer, welche ich mich nun nicht mehr zierte zu verzehren.
Die Männer warfen mir unbehagliche Blicke zu, und obgleich es vermutlich an meiner alles Fröhliche verzehrenden Laune lag, bildete ich mir ein, auch sie sähen in mir den Hurenmörder. Nur Ðomas zwinkerte mir manchmal zu, als verbände uns ein großes Geheimnis, aber auch das widerte mich mehr und mehr an. Neue Antworten hatte es nicht gebracht, nur neue Fragen, und Ynge schwieg seither.
„Schon gehört, dass Tomke eine Mannschaft zusammenstellt?“, begann Albert das Gespräch mit den anderen. „Sie will rüber zum Festland, endlich Nachschub holen und Neuigkeiten.“
„Wen nimmt sie mit?“, fragte Ðomas, bei dem es mich stets wunderte, dass er mit seinen wenigen Zähnen das harte Brot kauen konnte.
„Dich ja wohl nicht, wenn sie dich nicht gefragt hat.“
„Unsinn. Mich kann man immer gebrauchen. Ich kann handeln wie der Beelzebub.“ Er grinste breit.
„Friedrick nimmt sie mit, weil der Lausebengel so gut klettern kann.“
„Wird es denn eine Handelsfahrt, oder ist sieaufs Plündern aus?“
„Man muss für alles gerüstet sein, oder?“
„Wann fährt sie?“, fragte ich leise und erntete einen Moment des Schweigens, als alle sich darüber verwunderten, dass ich etwas gesagt hatte.
„Weiß nicht genau. Sie will noch zu dieser Hexe. Die machen hier ja nichts, ohne sich vorher den Rat der Hexe angehört zu haben“, flüsterte Albert und bekreuzigte sich. Keiner der anderen wiederholte die christliche Geste.
Naðurn Stak
Holzschnitt
I ch
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