Die zerbrochene Uhr
meisten seiner Uhren kommen aus England, jedenfalls die Uhrwerke, dort macht man die besten, und teilweise auch die Gehäuse, jedenfalls die aus Mahagoni. Nußbäume, Kiefern und Eichen haben wir ja selbst genug. Jedenfalls wurde der Uhrmacher verdächtigt, geschmuggelte Rubine bestellt zu haben …«
»Rubine?« Agnes Matthew bekam glänzende Augen. »Ist er denn auch ein Goldschmied? Ich denke, er macht nur Uhren und Automaten.«
»Das stimmt. Aber für die Uhrwerke braucht man Rubine, wohl auch Saphire oder andere Edelsteine, sagt Lorenz, weil die viel härter sind als Metalle und sich deshalb nicht so schnell abnutzen. Die Rädchen in so einem Uhrwerk bewegen sich über viele Jahre und ohne Pause, deshalb bekommen die Schrauben, oder nur einige, so genau weiß ich es nicht, eine Fassung, oder wie immer man das nennt, aus Edelstein, in der sie sich lange ohne Fehler drehen können.«
Lorenz’ Verehrung für Emma Godard, dachte Mademoiselle Stollberg grimmig, muß in der Tat groß gewesen sein, wenn er sich so sehr um die Geheimnisse des Uhrmacherhandwerks bemüht hat.
Pierre Godard, so berichtete Henny weiter, habe im Verdacht gestanden, einer der Empfänger der Schmuggelware gewesen zu sein. Warum? Das wisse sie nicht, irgendwelche Hinweise werde es schon gegeben haben. Allerdings sei er niemals angeklagt worden, was nur daran liege, daß er ungewöhnlich genaue Listen über seine Arbeiten führe. Das, sage Lorenz, mache ihn besonders verdächtig, aber sie selbst denke, genaue Listen seien Ausdruck großer Ordnungsliebe, gegen die absolut nichts einzuwenden sei, denn Ordnung mache das Leben sehr viel einfacher. Wenn sie da an ihren neuen Sekretär denke, sechs Schubfächer auf jeder Seite und über der Schreibplatte … Wie? Ach ja, der Uhrmacher. Er habe mit diesen Listen jedenfalls genau nachweisen können, wie viele Rubine er verarbeitet und wie viele er gekauft und auch verzollt habe. Was nichts heiße, aber immerhin. Es waren auch nicht viele, weil er nicht viele brauche, die meisten Uhrwerke kaufe er komplett, nur einige mache er selbst, und wenn eine Fassung für eines der Schräubchen zu erneuern sei, dann erneuere er es wohl mit einem Rubin, was aber sehr schwierig sei, und überhaupt sei die Verwendung von Rubinen in Uhren bisher fast nur in England üblich. Dann habe sich noch der französische Gesandte für ihn verbürgt, und weil der Rat es sich nicht leisten könne, noch mehr Ärger mit Frankreich zu bekommen, habe bald niemand mehr von dieser Angelegenheit gesprochen.
»Es ist auch möglich«, schloß sie, »daß irgend jemand Monsieur Godard verleumdet hat. Es gibt viele Uhrmacher in der Stadt, einer weniger könnte manchem sehr gelegen sein.«
Was zu einer von Madame van Witten energisch angeführten Auseinandersetzung darüber führte, ob man den braven hamburgischen Uhrmachern eine solche Kabale zutrauen könne, nur weil einer ein Konkurrent und dazu Hugenotte sei. Man sei zwar nicht in Altona, aber die Hugenotten hätten in Hamburg nie Schwierigkeiten gehabt. Woraufhin Mademoiselle Stollberg zart daran erinnerte, das möge schon sein, im Prinzip, aber bis heute dürften sie, nur zum Exempel, kein eigenes Gotteshaus bauen, sondern nur jenes besuchen, das der holländische Gesandte im Garten hinter seinem Haus am Valentinskamp errichtet habe. Woraufhin wiederum Madame Bilsen die Frage aufwarf, ob Mademoiselle Stollberg nicht doch schon ein wenig zu stark von der Freigeisterei angesteckt sei, die in den letzten Jahren selbst die besten Familien erreiche, und auch daran sei das neue Theater schuld.
All diese drängenden Fragen blieben unentschieden, denn just als das Thema endgültig von der fragwürdigen Reputation des Uhrmachers wieder einmal auf den verderblichen oder womöglich doch bessernden Einfluß des Theaters hinüberschwappte, wurde Niklas Herrmanns gemeldet, der Madame Herrmanns wie verabredet abholen wolle. Es sei schon eine halbe Stunde über die Zeit, und man erwarte Gäste.
Anne verabschiedete sich unter einem fünfstimmigen Chor des Bedauerns, und kaum war die Tür hinter ihr ins Schloß gefallen, kehrte Madame Bilsen zu der Frage zurück, die alle am brennendsten interessierte. Es sei doch sehr seltsam, wie blaß Madame Herrmanns sei, und auch dieses Aufbrausen, sie sei doch sonst nie so unbeherrscht. Habe sie nicht auch viel mehr von den Cornichons gegessen als von den köstlichen süßen Cremes und Kuchen? Als sie selbst seinerzeit mit ihrem ersten Kind in guter
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