Die zerbrochene Uhr
nahem Donner, Madame Bilsen verstummte abrupt.
»Wäre es möglich, noch ein wenig Tee zu bekommen«, piepste sie schließlich, und Agnes, die sonst nie einen Schritt tat, wenn sie mit dem Glöckchen nach einem dienstbaren Geist rufen konnte, eilte, das Glöckchen fest in der Hand, persönlich in die Küche hinab, um frischen Tee in Auftrag zu geben. Henny Bauer begann umgehend, über das wunderbare Wetter zu plaudern, und Mademoiselle Stollberg erinnerte standhaft an den Mangel an Schulen für Mädchen, was aber im Moment niemanden interessierte. Nicht einmal Anne.
»Die Gräfin«, rief Agnes, als sie wieder in den Salon trat, und jede wußte, welche der wenigen Gräfinnen, die sich in der Stadt aufhielten, gemeint war, »die Gräfin läßt ihre Uhren von diesem Uhrmacher warten, du weißt schon, Anne, der, der in euren Mord verwickelt ist. Monsieur Godard. Wußtest du das?«
Agnes hatte sich auf dem Weg von der Küche zurück in den Salon große Mühe gegeben, ein Thema zu finden, das Anne über ihren schrecklichen, tatsächlich unverzeihlichen Fauxpas hinweghalf.
»Oh«, sagte Anne, und Madame van Witten seufzte. Gerade Agnes, eine enge Freundin des Hauses Herrmanns, mußte doch wissen, daß Anne es stets vermied, über die Geschäfte ihres Mannes zu sprechen, vor allem, wenn es so delikate waren. Aber diesmal schwieg sie. Die Sache mit dem Mord im Johanneum und dem Uhrmacher vom Berg war fast so interessant wie der Zustand von Anne Herrmanns’ Taille.
Madame Bilsen lächelte süß: »Die Gräfin«, sagte sie und zog dabei das ›ä‹ in die Länge wie einen Hefeteig, »ist bekannt für ihre Vorliebe für die Refugiés. Aber dieser Uhrmacher – er soll ein sehr stattlicher Mensch sein, und die Gräfin ist auch bekannt für ihre Vorliebe für stattliche Männer. Ich kenne ihn natürlich nicht, aber doch, er soll, nun ja, eben ein stattlicher Mensch mit sehr schönem, noch ganz dunklem Haar sein. Und sehr belesen. Was mich wundert. Wahrscheinlich hat er in seiner Werkstatt nicht genug zu tun, wie sonst könnte er soviel Zeit erübrigen …«
»Meine Liebe«, Madame van Witten lehnte sich gemütlich zurück, »sie hat ihn nicht zum Mocca oder zu einer Soirée geladen, sondern läßt ihn nur ihre Uhren warten. Gewiß sind es eher seine geschickten Hände als seine Stattlichkeit, die Gräfin Bentinck dazu veranlaßt haben.«
Henny Bauer, die allerdings fand, daß Hände sehr viel über männliche Qualitäten aussagten, kicherte, Madame Bilsen machte schmale Lippen und rührte in ihrem Tee. Überhaupt wurde heute sehr viel im Tee gerührt, und Anne beschloß, der getrübten Stimmung, immerhin war sie nicht ganz unschuldig daran, endlich ein Ende zu bereiten.
»Claes sagt«, begann sie – und schlagartig saßen alle Damen sehr aufrecht –, »Monsieur Godard sei ein recht angenehmer Mensch. Ein wenig verschlossen vielleicht, aber höflich und, nun ja, er hat in seiner Werkstatt sehr kostbare Uhren, außerdem macht er gerade einen Automaten für Mijnheer van Zoom. Eine Uhr mit einem Spielwerk, allerlei beweglichen Vögeln und den verschiedensten astronomischen Anzeigen. Er muß ein echter Meister seiner Kunst sein, und ich bin sicher, nur das ist der Grund, warum auch deine Nachbarin, Agnes, ihm ihre Uhren anvertraut.«
»Das ist gewiß richtig, wenn Monsieur Herrmanns es sagt.« Henny Bauer, immer noch ein wenig beschämt, weil auch sie ständig Annes Taille im Blick hatte, stürzte sich mit Begeisterung auf das neue Thema. »Aber es heißt doch, das Werkzeug, dieses Ding, mit dem Monsieur Donner getötet wurde, habe ihm gehört. Lorenz hat gesagt, Monsieur Godard sei einer, bei dem wisse man nie. Das habe die Vergangenheit zur Genüge gezeigt.«
»Wisse man nie? Was meint dein Bruder damit?« fragte Anne. »Was hat denn die Vergangenheit gezeigt?«
Daß Lorenz Emma Godard den Hof gemacht hat, dachte Mademoiselle Stollberg mit zusammengezogenen Brauen, und daß Emma sich als Vergnügen für einen, der vor seiner Familie niemals zugeben würde, sie auch nur zu kennen, zu schade war. Aber das behielt sie für sich – wie hätte sie erklären sollen, daß sie stets bestens über Lorenz informiert war? Henny fuhr schon fort: »Es ist ein paar Jahre her, sagt Lorenz, da gelang es der Zolldeputation, eine veritable Schmuggelei aufzudecken. Ich kann mich daran nicht erinnern, ich weiß auch nicht, wer in den Betrug verwickelt war. Aber Lorenz sagt, Godard sei verdächtigt worden, daran beteiligt zu sein. Die
Weitere Kostenlose Bücher