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Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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unstetes Leben geführt hatte (wie es hieß, mit etlichen Liebhabern), versuchte sich jedes der großen Häuser in der Stadt mit ihrer Bekanntschaft zu schmücken, und das, obwohl die Dame aus Friesland nicht annähernd so begütert war, wie es ihrem Stand gebührte. Die Gräfin führte dennoch ein großes Haus, in ihrem Salon verkehrte alles, was Rang und Namen hatte, allerdings weniger im Handel, sondern in Literatur und Philosophie.
    Seit Monaten bemühte sich Agnes, jeden wissen zu lassen, wie belesen sie war und wie sehr sie die Philosophie liebte, ganz besonders die von Monsieur Voltaire (von dem man wußte, daß die Gräfin ihn bei ihrem langen Aufenthalt am preußischen Hof kennengelernt hatte und ihm immer noch sehr nahe stand). Dennoch war es ihr nicht gelungen, in den erlesenen Kreis der alleradeligsten und wahrscheinlich auch allergebildetsten Dame in der Stadt aufgenommen zu werden.
    »Ihr seid heute so schweigsam.« Madame van Witten sah Anne prüfend an. »Ihr eßt nichts von den Kunstwerken aus der Küche unserer lieben Agnes, und blaß seid Ihr auch. Habt Ihr etwa ein Geheimnis?«
    Madame Bilsen kicherte, Agnes reckte ihren langen Schwanenhals noch länger, und Mademoiselle Stollberg, Henny Bauers beste Freundin und heimliche Verehrerin ihres Bruders Lorenz, beugte sich errötend über ihren längst leeren Teller.
    »Ein Geheimnis?« Henny neigte den Kopf, um Anne, die neben ihr saß, besser betrachten zu können. »Was für ein Geheimnis? Oh«, rief sie dann und klatschte in die Hände, »Madame van Witten meint, ob du guter Hoffnung bist.«
    »Ganz so deutlich, meine liebe Henny«, sagte die Senatorin würdig, »hätte ich es nicht ausgedrückt, aber …«
    »So ein Unsinn.« Anne spürte heiße Röte in ihrem Gesicht. Keine Röte zarter weiblicher Scham, die bei diesem Thema unbedingt zu erwarten war, sondern die Röte heißen Zorns. Natürlich wäre es nun angemessen gewesen, einfach still zu lächeln und manierlich über das Wetter zu parlieren, aber Anne war es leid. Seit Monaten, eigentlich schon seit mindestens zwei Jahren sahen die Damen, wo immer und egal zu welchem Anlaß sie sie trafen, mehr oder weniger diskret auf ihre Taille.
    »Ein für alle Mal«, platzte sie heraus, »ich bin nicht guter Hoffnung. Absolut nicht. Wenn Ihr so begierig darauf wartet, werdet doch selbst schwanger. Ich bin es jedenfalls nicht. Sollte ich es eines Tages sein, werde ich einen Anschlag in der Börsenhalle machen, damit es gleich und ohne Verzug die ganze Stadt erfährt und endlich beruhigt sein kann!«
    Atemlose Stille senkte sich über den Salon, nur das Ticken der Standuhr und das leise Schnarchen von Carlino, dem Mops, waren noch zu hören.
    »Hups«, sagte Madame van Witten und stellte behutsam ihren Teller auf den Tisch zurück. »Es tut mir leid, meine Liebe, ich wollte Euch nicht brüskieren.«
    Anne schluckte, sie saß sehr aufrecht in ihrem Sessel, die Hände fest im Schoß verknotet, und sah wütend in das betretene Gesicht der Senatorin. Wie wütend, erkannte sie an den erschreckten Gesichtern der Damen.
    Plötzlich erschien ihr die ganze Situation absurd. Die vergnügt plaudernde Runde, der schnarchende Mops, der nagelneue chinesische Wandschirm aus feinem Reispapier mit seiner zierlichen Landschaft samt nicht minder zierlichen grün und weiß gewandeten Damen und dem fliegenden Schwan zwischen all den Möbeln aus dunklem Mahagoni und den seidenbezogenen Armsesseln und Stühlen, mittendrin Agnes’ Teekanne in Form eines dicken Blumenkohls – ein Nachmittag mit Tee und Damen, ganz wie er sein sollte. Und sie fiel völlig aus der Rolle, nur weil die freundliche Madame van Witten die Vertraulichkeit der Stunde ein wenig überstrapaziert hatte.
    Anne hob entschuldigend die Hände. »Mir tut es auch leid. Bitte, verzeiht meine Unbeherrschtheit. Ich verspreche, mich zu bessern. Manchmal bin ich es nur müde, daß die ganze Stadt darauf wartet, daß ich meine Pflicht erfülle. So sagt man doch? Mir scheint, niemand sieht mir mehr ins Gesicht, alle schauen nur noch auf meine Taille.«
    »Ach, meine Liebe«, Madame Bilsen heftete ihren Blick entschlossen auf Annes Augen, »ich schwöre Euch, ich sehe nie auf Eure Taille. Es ist ja auch nicht nur reine Freude, guter Hoffnung zu sein, und wenn man erst einmal Mutter ist, wird das Leben furchtbar beschwerlich. Aber mir scheint doch, als schnürtet Ihr Euch in der letzten Zeit nicht mehr ganz so …«
    Madame van Wittens Räuspern klang nach bedrohlich

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