Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
Vom Netzwerk:
Rosinas Ahnungen, so richtig sie oft sein mochten, bedeuteten meistens Verdruß.
    »Ich glaube, eigentlich bin ich sogar sicher, der ehrbare Lehrer war so ganz nebenbei ein Erpresser. Zumindest hatte er vor, einer zu werden.«
    Sie griff unter ihre Schürze, zog einen kleinen Stapel von Briefen und Papierbögen aus der Rocktasche und legte ihn auf den Tisch. »Diese Sammlung kann kaum etwas anderes bedeuten. Ich glaube nicht, daß Monsieur Donner rein aus stiller Freude am Wissen solche Informationen zusammengetragen und so gut versteckt hat. Einiges ist ganz klar, aber wozu diese Liste«, sie schob die Papiere auseinander, fischte einen der Bögen heraus und hielt ihn hoch, »ihm dienen sollte, kann ich mir nicht vorstellen. Wenn es stimmt, daß Monsieur Godard in eine Schmuggelaffaire verwickelt war, macht sie allerdings Sinn. Dann sieht es ganz so aus, als habe Donner versucht, diese alte Geschichte wieder aufzuwärmen und den Uhrmacher damit zu erpressen.«
    Sie reichte Claes den Bogen und fuhr zu Wagner gewandt fort: »Es sieht auf den ersten Blick aus wie eine Lieferliste, allerdings steht weder der Name einer Handlung noch eines Importeurs darauf, nur die Bezeichnungen der Waren und dahinter jeweils ein Datum.«
    Wagner war aufgestanden und sah Claes Herrmanns über die Schulter. »Woher kann er so was gehabt haben? Was denkt Ihr, Monsieur Herrmanns? Könnte das eine Lieferliste sein? Oder eine Bestellung?«
    Claes schüttelte den Kopf. »Nein, dem widersprechen die Daten hinter den einzelnen Posten. Es ist nicht üblich und auch überhaupt nicht sinnvoll, Waren zu bestellen und für jede einzelne einen Liefertermin zu geben. Das ist sogar völlig verrückt. Waren, egal ob Hölzer aus Brasilien oder Klöppelspitze aus Tondern, werden bestellt und mit der nächsten Möglichkeit, mit einem Schiff oder einem Fuhrwerk, geliefert. Es kommt vor, daß man sie langfristig bestellt, um sich die Lieferung sichern zu lassen, aber niemand käme auf die Idee, sie für ein bestimmtes Datum zu ordern. Wie sollte das gehen? Niemand kann wissen, wie der Wind wehen wird, wie lange ein Schiff für seine Fahrt brauchen wird. Hier zum Beispiel.« Er klopfte mit dem Zeigefinger auf den Bogen und las vor: »Sechs Rubine, London, St. Mary Redcliffe, 8. September 1762. Das steht für die Ware, für deren Herkunftsort und für das Schiff, das die Ware gebracht hat. St. Mary Redcliffe ist zwar der Name einer Kirche in Bristol, aber auch einer Bark. Sie gehört einigen Bristoler Händlern, Milgram & Sons, wir bekommen von ihnen auch hin und wieder Waren. Der 8. September. Das wird der Tag sein, an dem sie in Hamburg eingelaufen ist. 1762. Vor sechs Jahren?«
    Rosina nickte. »Seltsam, nicht wahr? Das letzte Datum, das hinter den drei Uhrwerken, Zifferblättern und sieben vergoldeten Zeigern, ist jedoch jünger, 1764.«
    »Jünger, nun ja«, sagte Wagner und sah Rosina mit einer ungewohnten Mischung aus Strenge und Mißtrauen an. »Bevor wir weiter überlegen, was das zu bedeuten hat – sicher bergen diese anderen Schreiben vor Euch ähnliche Mirakel –, wüßte ich gerne, woher Ihr das alles habt. Wohl kaum von Eurer neuen Dienstherrin, der ehrwürdigen Domina.«
    Rosina lehnte sich lachend zurück. »Endlich, Wagner. Ich dachte schon, Ihr würdet mich das nie fragen. Alle diese Papiere waren gut versteckt in Monsieur Donners Wohnung. Ich weiß, Ihr hattet sie schon gründlich durchsucht, aber ein Versteck habt Ihr übersehen, was in diesem Fall daran liegen mag, daß Ihr keine Hausfrau seid. Wenn Monsieur Herrmanns die Güte hat, noch ein wenig Kaffee zu bestellen, will ich es erzählen.«
    »Wie seid Ihr in die Wohnung gekommen? Wieso hat Donners Wirtsfrau Euch hereingelassen? Sie ist alles andere als eine mitfühlende, vertrauensselige Person.«
    »Das werde ich Euch besser nicht erklären. Ich bin Komödiantin, habt Ihr das vergessen? Und ein bißchen verstehe ich mich auch auf Tragödie. Jedenfalls hat sie mich hinein- und sogar für einige Minuten allein gelassen.«
    Daß sie dazu die Hilfe ihres Prinzipals gebraucht hatte, behielt sie tatsächlich besser für sich. Jean war in der Rolle des Mannes, der sich um die freigewordene Wohnung Donners bewarb, zu seiner besten Form aufgelaufen. Kaum daß er Rosina am Fenster im ersten Stock entdeckte, verlangte er entschieden und äußerst lautstark nach der Wirtin. Der blieb nichts anderes übrig, als das Mädchen der Domina bei der Suche nach einem Buch, das die Ehrwürdige Jungfrau

Weitere Kostenlose Bücher