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Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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sagte sie ihm, sitze in seiner Klasse, und sie glaube, er schlafe. Er sehe seltsam aus, gewiß träume er schlecht. So fand Töltjes den Lehrer im Klassenzimmer der Sekunda, im Lehnstuhl, der doch für die Scholarchen und andere hohe Herren reserviert ist. Er erkannte gleich, daß der Lehrer tot war. Nein, eine Uhr hatte er nicht gesehen. Er hatte Karla nach dem Rektor und der Wedde geschickt, wie es seine Pflicht war, und neben dem Toten auf die Herren gewartet.
    »Das stimmt. Töltjes stand neben ihm wie ein Wachsoldat.« Claes Herrmanns war enttäuscht. Ein bißchen spannendere Neuigkeiten hatte er doch erwartet. »Warum hat er nicht gleich gesagt, daß Karla den Toten gefunden hat?«
    »Weil das Mädchen so schüchtern ist und er nicht wollte, daß sie von der Wedde befragt wird. Sie habe auch sicher nicht genau hingesehen, sagte er, das stehe ihr nicht zu.«
    »Sehr zartfühlend. Glaubt Ihr ihm das?«
    Wagner sagte: »Nun ja« und neigte abwägend den Kopf nach beiden Seiten. »Wenn Ihr sein Zartgefühl meint: Nein. Daß Karla zuerst bei dem Toten war: Ja. Doch, ich denke, es war so, wie Töltjes erzählt hat. Was immer der wahre Grund gewesen sein mag, daß er Karlas Rolle bei der Geschichte zuerst ausgelassen hat. Aber ich bin sicher«, wieder schickte er seine Zettel auf die Rundreise über den Tisch, »irgendwas hat er noch nicht erzählt. Ich wüßte sehr gerne, was das ist.«
    »Was hat sie überhaupt um diese Zeit in den Klassenzimmern gemacht?«
    »Sie hatte am Morgen den Besen im Hof vergessen. Als Töltjes beim Mittagessen murrte, er habe das Portal offenlassen müssen, das werde ihm bestimmt Ärger einbringen, wollte sie ihn schnell holen, bevor die Frau des Pedells sein Fehlen bemerkte. Sie sah die offene Klassentür und, nun ja, die Neugier. Ich sagte ja, sie ist wie ein Kind.«
    »Was man ihr allerdings nicht ansieht. Das gibt uns natürlich eine neue Spur. Womöglich hat Karla den Lehrer getötet.«
    Da war es wieder, eines dieser ungewissen Worte.
    »Womöglich«, sagte Wagner. »Aber das ist sehr unwahrscheinlich. Dr. Reimarus sagt, der Lehrer müsse schon etwa eine Stunde, bevor er gefunden wurde, getötet worden sein. Welchen Grund sollte sie gehabt haben? Und wie sollte sie an das Werkzeug des Uhrmachers gekommen sein?«
    »Es gibt einige Gründe, warum ein Mädchen so etwas tun könnte. Nicht unbedingt christlich vergebende, aber sehr menschliche. Daß Donner der fromme Ehrenmann war, als der er erschien, kann ich längst nicht mehr glauben. Monsieur Müller hat mir gestern erzählt, Donner habe keine Gelegenheit ausgelassen, ihm auch die kleinsten Versäumnisse seiner Kollegen zu melden. Sogar beim Scholarchat hat er einige Male vorgesprochen, um Verbesserungen des Unterrichts vorzuschlagen. Auch dabei hat er nie versäumt, deutlich zu machen, daß nur der Unterricht seiner Kollegen zu verbessern sei. Was Müller gar nicht angenehm fand. Ich fürchte, unser armes Opfer liebte es nicht nur, seine Schüler kräftig zu zwiebeln, er war auch ein gewiefter Intrigant. Jedenfalls«, sagte Claes und warf einen bedauernden Blick in seine leere Kaffeetasse, »die Sache mit Godards Schmuggelei können wir nun vergessen. Es gibt keinen Zweifel mehr, daß er tatsächlich nur in der Schule war, um die Uhr abzuliefern.«
    »Was für eine Schmuggelei?« Wagner war nie dafür, etwas zu vergessen.
    »Es ist nur Klatsch, kaum der Rede wert. Madame Herrmanns wurde zugetragen, Godard sei vor einigen Jahren – Ihr wart damals noch nicht Weddemeister – von der Zolldeputation der Schmuggelei verdächtigt worden. Es ging um Rubine, die in England und neuerdings auch von einigen unserer Uhrmacher beim Bau der Uhrwerke verwendet werden. Man konnte ihm aber nie etwas nachweisen. Und da kommt endlich Rosina.«
    Rosina, in der Tracht der Herrmannsschen Mädchen und vom eiligen Gang durch die Stadt erhitzt und zerzaust, stand in der Tür zum Salon. Sie war zu schnell die Treppe aus der Diele heraufgelaufen, als daß Blohm eine Chance gehabt hätte, sie zu melden.
    »Die Schmuggelei, von der Ihr gerade spracht«, sagte sie, ohne nach einer eiligen Begrüßung auch nur eine Minute verstreichen zu lassen, »mag in der Zolldeputation vergessen sein. Monsieur Donner allerdings war darüber genau informiert.«
    »Der Lehrer?« rief Claes, und Wagner rutschte auf die vorderste Kante seines Stuhls. »Was hatte der damit zu tun?«
    »Das weiß ich nicht, aber ich habe so eine Ahnung.«
    Wagner lehnte sich matt zurück.

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