Die zerbrochene Uhr
hat nie zuvor so etwas gesehen. Sie wußte sicher nicht um den Wert.«
»Gut, Wagner, lassen wir es dabei. Ihr werdet Gründe für Eure seltsame Milde haben. Das ist im Augenblick nebensächlich. Wichtiger ist: Wenn dieses Mädchen die Uhr hatte, muß sie bei dem Toten gewesen sein.«
Wagner nickte, sichtlich erleichtert und wieder auf sicherem Boden. Claes Herrmanns war keiner, der ständig nach Rache für böse Taten, nach Henken und Rädern schrie, gewiß war es dennoch besser, ihm nicht zu erzählen, daß Karla sehr wohl gewußt hatte, was sie vom Boden aufgehoben hatte. Das Mädchen war mehr als scheu, und Wagner war nicht sicher, ob all ihre Sinne ihren richtigen Dienst taten. Wohl schon sechzehn Jahre alt, handelte und redete sie wie ein Kind. Sie hatte die Uhr genommen und versteckt, vor den Töltjes’ und vor ihm, doch als er sie entdeckte, schien ihr auch das selbstverständlich, als habe sie sich in alles zu fügen, wie es gerade geschah. Karla hielt Wagner die Uhr auf der zart gewölbten Hand entgegen, behutsam, als suche ein Vogeljunges darauf Schutz. Nur aufgehoben, flüsterte sie, es sei ja zu nichts mehr nutze, nun, wo der Lehrer nicht mehr lebe. Aber man könne es ansehen, niemals habe sie etwas so Schönes besessen.
»Das Mädchen gab mir die Uhr ohne jeglichen Widerstand«, sagte Wagner und sah Claes so amtlich wie möglich an, »und gerade als ich sie fragte, ob sie denn bei dem Toten gewesen sei, polterte Töltjes herein. Er hatte schon auf der Straße erfahren, daß die Wedde in seinem Haus sei, und tatsächlich war er mehr als aufgebracht. Karla, rief er kaum, daß er über die Schwelle trat, solle sofort in ihre Kammer gehen. Sie sei ein dummes Kind und habe mit alledem nichts zu tun. Dann sah er die Uhr und verstummte schlagartig. Er starrte nur die Uhr an.«
Ob er die Uhr kenne, fragte Wagner ihn, und der Pedell nickte. Das müsse Monsieur Donners Taschenuhr gewesen sein. Jeder, der ihn kannte, kannte auch die Uhr. Er habe sie oft aus der Tasche gezogen und in günstiges Licht gehalten, bevor er die Zeit prüfte. Man habe gar nicht übersehen können, daß er eine besaß.
Wie die Uhr in Karlas Schürzentasche kam, konnte er nicht erklären. Jedenfalls zuerst nicht. Bis seine Frau sich zwischen Wagner und Grabbe hindurchschob und vor ihrem Mann, dem sie kaum bis zur Schulter reichte, aufbaute. Es sei nun genug, er solle sagen, wie es wirklich gewesen sei. Es gebe keinen Grund, das Mädchen zu schützen, nun, wo sie eine Diebin sei, erst recht nicht.
So berichtete der Pedell endlich, was sich wirklich zugetragen hatte. Leider war es nicht halb so erhellend, wie Wagner geglaubt hatte. Zunächst gestand er, daß an jenem Tag, er sagte immer: an jenem Tag, die Tür zur Schule nicht verschlossen gewesen sei. Monsieur Donner habe ihm aufgetragen, sie offenzulassen, er erwarte einen Besucher. Seinen, Töltjes’ Einwand, das sei gegen die Regel, habe er mit einer ungeduldigen Handbewegung fortgewischt: Es sei nicht Aufgabe eines Pedells, zu widersprechen, er solle Anweisungen entgegennehmen und befolgen. Also hatte er genau das getan, was er aber später, als Monsieur Donner tot war und diese Anweisung nicht mehr bestätigen konnte, lieber für sich behalten hatte. Sicher hätte der Rektor nicht geglaubt, daß Monsieur Donner gegen die Regeln verstoßen, sondern daß der Pedell versäumt hatte, die Tür zu verschließen, wie es seine Pflicht war.
Und dann? hatte Wagner gefragt. Wer kam in die Schule? Wer war der Besuch, den der Lehrer erwartete?
Das wußte Töltjes nicht. Man habe ja gehört, der Uhrmacher sei dagewesen, den werde er dann auch erwartet haben. Er selbst habe niemanden gesehen. Er habe zu Mittag gegessen, wie es das Recht eines jeden sei, und von seiner Wohnung habe er keinen Blick auf das Portal.
Wagner nickte. »Nun erklärt mir, wie Karla zu dieser Uhr kommt. Donnerstag habt Ihr gesagt, Ihr wäret in das Klassenzimmer gegangen, um bei den Vorbereitungen für den Nachmittagsunterricht zu helfen.«
»Der Globus«, sagte Töltjes. »Er brauchte den Globus. Der stand in der Quarta, und ich sollte ihn in die Sekunda tragen.« Er sank auf einen Schemel, warf Karla, die reglos an der Wand lehnte, einen grimmigen Blick zu und fuhr fort zu berichten.
Er betrat die Schule, die Tür war immer noch offen, und schon im Flur des Gymnasiums kam ihm das Mädchen entgegen. Nein, sie war nicht sehr aufgeregt, höchstens ein bißchen. Eigentlich sei Karla nie aufgeregt. Lehrer Donner,
Weitere Kostenlose Bücher