Die zerbrochene Uhr
seinen Teller gerichtet hielt, aufmerksam an. »Monsieur Donner hat seinen Neffen also schon länger ungerecht behandelt?«
Niklas nickte. »Er ist … Er war sehr schlau. Wenn Simon es erzählte, oder auch ein anderer aus der Klasse, dann klang es gar nicht schlimm. Ich weiß nicht, wie er das gemacht hat, aber wenn man vor ihm stand, dann, ja, dann fühlte man sich nicht wie sonst. Als wäre man plötzlich schlechter. Und viel dümmer. Er guckte immer so. Und dabei hat er gelächelt.«
Niklas’ Stimme klang dünn, und Claes begriff endlich, welche Pein diese Fragerei für ihn bedeuten mußte. Wenn man vor ihm stand, dann fühlte man sich nicht wie sonst. Er wußte genau, was Niklas meinte. Auch wenn er geglaubt hatte, es nach all den vielen Jahren längst vergessen zu haben.
»Gut, mein Junge. Es ist gut, du mußt nicht ein so grimmiges Gesicht machen. Niemand glaubt, daß Simon etwas mit dem Tod seines Onkels zu tun hat, auch der Rektor nicht. Oder das Scholarchat. Aber wir müssen versuchen herauszubekommen, wer Monsieur Donner war, sonst finden wir nicht heraus, wer Grund hatte ihn zu töten. Ich weiß, daß du das verstehst.«
Wagner fand diese Milde sehr väterlich, allerdings war er nicht ganz derselben Meinung: »Wie Monsieur Herrmanns sagte, wir müssen das herausfinden. Es scheint, daß niemand Monsieur Donner wirklich gut kannte. Auch niemand in seinem Kollegium. Sicher hat dein Freund dir auch nicht erzählt, welche Bekanntschaften sein Onkel pflegte?«
Niklas schüttelte stumm den Kopf.
»Aber du weißt gewiß, wer außer dir Simons Freunde sind.«
»Manchmal besucht er Meckel. Der geht in seine Klasse, und sie spielen Schach zusammen. Aber ich bin sein Freund, er hilft mir auch immer in allen Schulsachen. Meistens lernt er, er möchte schnell in die Prima. Nur in den letzten Wochen«, endlich hob er den Blick, und Anne spürte ein Hauch von Kühle in seinen Zügen und Worten, »in den letzten Wochen hatte er noch weniger Zeit. Er geht jetzt ziemlich oft zu dem Uhrmacher, der seine Uhr repariert hat. Es ist eine schöne Uhr, sie hat seiner Mutter gehört, glaube ich.«
»Was macht er denn da?« wollte Rosina wissen.
»Er hilft in der Werkstatt, als Entgelt für die Reparatur. Er konnte sie nicht bezahlen.«
» Welcher Uhrmacher?« Aus Claes’ Stimme war alle Milde verschwunden. »Weißt du, wie er heißt?«
»Natürlich. Es ist der Uhrmacher, der die Werkstatt am Berg hat, und Simon sagt, er ist ein sehr kluger und freundlicher Mann. Er hat vornehme Kunden und viele Bücher und …«
»Der Name, Niklas.«
»Er heißt Godard. Monsieur Godard.«
»Das habe ich mir doch gedacht. Was sagt Ihr dazu, Wagner?«
Wagner sagte dazu: »Nun.« Er hatte nicht die geringste Lust, vor der versammelten Familie Herrmanns noch mehr seiner amtlichen Gedanken auszubreiten. »Nun«, wiederholte er und erhob sich. Das sei interessant. Leider werde es jedoch bald dunkel und Zeit, die Tore zu schließen. Wenn Mademoi …, wenn Rosina erlaube, werde er sie und Muto in die Stadt und zu ihrer Wohnung zurückbegleiten.
Und so erfuhr an diesem Abend zwar nicht der ehrwürdige Scholarch, aber immerhin die Komödiantin Rosina, daß eine weitere Befragung der Lehrer nichts Neues ergeben habe und daß Grabbe damit beschäftigt war, die Kunden des Uhrmachers zu besuchen, um sie nach dem Stichel und ganz nebenbei nach dem Leumund des Uhrmachers zu fragen. Was unangenehm war, weil es nämlich, so betonte Wagner mit kummervoll gekrauster Stirn, kaum Erfolg haben werde. Wie er befürchtet hatte, standen auf der Liste vor allem Namen reicher Häuser, nur einige hugenottischer Abstammung. Die Godeffroysche Weinhandlung war darunter, der Goldschmied am Jungfernstieg, ein begüterter Kapitän am Grimm und die Gasthäuser Zum Goldenen Lamm am Fischmarkt und Zum Weißen Einhorn in der Steinstraße. Gasthäuser! Da gingen alle Tage so viele Menschen ein und aus – er könnte Grabbe ebenso gut zum Grünhändlermarkt am Meßberg schicken. Natürlich, die Gasthäuser gehörten beide zur besseren Sorte, da trieb sich nicht soviel Lumpenpack herum, genaugenommen gar keines, aber da gab es dennoch genug, denen man fast alles zutrauen konnte. Die Brauerknechte zum Beispiel, die das Bier brachten, waren von jeher bekannt für ihren Hang zu Aufruhr und …
Rosina bemühte sich redlich, zuzuhören. Doch ihre Gedanken eilten immer wieder voraus zu der neuen Rolle, die Madame Augusta ihr zugedacht hatte. In den letzten Jahren hatte sie
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