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Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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recht gehabt, sie mochten seine Beute nicht. Vor allem, als sie ihre acht schwarzbehaarten Beine auseinanderfaltete und mit großer Eile zwischen Tellern, Gläsern, Mundtüchern und Schüsseln über den Tisch zu rennen begann.
    »Pfui Teufel«, schrie Augusta, Niklas rief: »Halt!«, und Muto flitzte auf die andere Seite des Tisches, hielt seine Hände auf, und schon hatte er die fette Spinne gefangen.
    »Sofort bringt ihr dieses Untier weg, und zwar sehr weit, am besten bis zu Böckmanns Garten!« Claes hatte völlig vergessen, daß er selbst auf der Vorführung der Beute bestanden hatte.
    Niklas schwieg. Seine Zähne verschwanden hinter seinen Lippen, und die Art, wie er sein Kinn trotzig nach unten zog, ließ Anne auflachen. Genauso sah sein Vater aus, wenn ihm etwas überhaupt nicht paßte.
    »Ach, Claes«, sagte sie und bemühte sich um den der Beute angemessenen Ernst. »Es ist doch kein Skorpion, sondern nur eine Spinne, wenn auch ein besonders beeindruckendes Exemplar. Ganz bestimmt hat es Niklas und Muto viel Geduld und List gekostet, sie zu fangen. Findest du nicht, daß Niklas sie in eine Spanschachtel legen sollte, damit er sie am Montag Monsieur Klamm zeigen kann?»
    So wanderte die Spinne aus Mutos Händen wieder in den Strumpf und dann in eine Spanschachtel. Die war ein Geschenk von Claes an Anne, hatte bis vor kurzem kandierte Früchte aus La Rochelle beherbergt und sollte nun eigentlich, Claes gelang selten ein Geschenk ohne praktischen Nutzen, als Behältnis für Knöpfe oder Reste von Spitzen und Bändern dienen. Monsieur Klamm, Herr der Bücher in der Commerzbibliothek und als heimlicher Liebhaber von Insekten und Spinnen aller Art in diesem Sommer Niklas’ ganz privater Lieblingslehrer, würde an ihrem Inhalt seine Freude haben.
    Als die Jungen ihre Täubchen gegessen hatten – die erstaunliche Geschwindigkeit, mit der sie die Teller leerten, zeigte das Maß ihres Hungers – und Niklas ausführlich von den Jagdabenteuern im Unterholz des Eichwaldes zwischen der Krugkoppel und dem Lizentiatenberg berichtet hatte, fragte Claes Niklas nach seinem Freund.
    »Wer er ist? Was meinst du, Vater? Simon ist Schüler in der Sekunda. Und er kommt aus Husum. Er ist ein guter Schüler.«
    »Das weiß ich. Euer Rektor spricht nur das Beste von ihm. Ich fürchte jedoch, obwohl Simon bei ihm wohnt, weiß der gute Müller nicht viel über ihn. Du bist sein Freund, sicher weißt du mehr. Monsieur Donner war sein Onkel, und Wagner berichtet, der habe ihn am Tage seines Todes, genau gesagt, wenige Stunden vor seinem Tod, geschlagen, und zwar über das übliche Maß hinaus. Mochte Simon seinen Onkel nicht? Gab es da Familienstreitigkeiten?«
    Anne warf Rosina einen hilfesuchenden Blick zu und versuchte ihren Seufzer hinter ihrem Mundtuch zu verbergen.
    Niklas faltete umständlich das seine und legte es neben den Teller. »Das weiß ich nicht, Vater. Nein, ich glaube, er mochte ihn nicht, jedenfalls nicht immer. Aber daran ist nicht Simon schuld. Niemand mochte Monsieur Donner.«
    »Warum nicht?« fragte Wagner.
    Niklas zuckte mit den Schultern. »Warum nicht? Er war nicht nett. Ich meine, er sprach oft so, daß man sich wie ein Wurm fühlte und alle anderen über einen lachten.«
    »Woher weißt du das? Du gehst doch nicht in seine Klasse.«
    »Das weiß jeder, Vater. Nur Rektor Müller nicht. Und das Scholarchat.«
    »Na«, Augusta tätschelte Niklas beruhigend die Schulter. »Nun weiß es zumindest einer aus dem Scholarchat.«
    Niklas nickte. »Ja, jetzt.« Wo es zu spät ist, wollte er hinzufügen, aber er schwieg.
    »Na gut.« Claes wußte nicht recht weiter. Er kannte diese Miene an seinem Sohn, sie war besser als jedes Schweigegelübde. Aber warum? Warum wollte Niklas nicht über Simon reden? Wußte er nichts? Oder wußte er etwas, von dem er nicht wollte, daß es jemand erfuhr?
    »Du warst gleich danach mit ihm am Fleet«, versuchte es nun Wagner. »Das ist kein Geheimnis, Simon hat es mir heute selbst erzählt. Ihr habt doch sicher darüber gesprochen. Wofür hat sein Onkel ihn bestraft?«
    »Das hat er nicht gesagt, er hat überhaupt fast nichts gesagt, nur daß er sich das nicht länger gefallen lassen will. Aber das hat er nicht so gemeint. Simon würde niemandem etwas tun, nicht einmal einer Spinne. Er wollte es dem Rektor melden. Oder«, fügte er leiser hinzu, »dem Scholarchat. Auch wenn er nicht dachte, daß es viel ändert.«
    »Nicht länger, aha.« Wagner sah den Jungen, der den Blick starr auf

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