Die zerbrochene Uhr
Blüten und Ranken im Kelch, als sei hier des Rätsels Lösung zu finden. » Du machst dir zu viele Sorgen.« Sie trank einen Schluck und stellte das Glas auf den Tisch zurück. »Ich finde die Idee ausgezeichnet, Madame Kjellerup. Ihr denkt, das ließe sich arrangieren?«
»Ganz leicht. Sicher morgen schon.«
»Könnte mir bitte jemand sagen, wovon ihr sprecht?«
»Mademoiselle Rosina findet«, erklärte Wagner und hob dazu den rechten Zeigefinger wie vor vielen Jahren in der Armenschule, »daß Madame Kjellerups Idee, Mademoiselle Rosina als neues Mädchen der Domina in das Kloster einzuschleusen, ausgezeichnet ist.«
» Richtig, Wagner, aber könntet Ihr Euch bitte endlich das ewige Mademoiselle verkneifen? Rosina genügt mir ganz und gar.«
Woraufhin Wagner tief errötete, eilig von dem Bordeaux trank und sich sofort verschluckte. Claes beachtete weder seinen Hustenanfall noch den Einsatz des unvermeidlichen großen blauen Tuches. Er sah Augusta an, sah Rosina an, sah schließlich seine Frau an, er sah in ein eifriges Gesicht, ein gelassenes und ein ärgerlich-besorgtes.
»Nun ja«, sagte er. »Ich bin mir zwar wie Anne nicht sicher, ob das eine gute Idee ist … «
»Was heißt: nicht sicher?« rief Anne. »Ich bin mir ganz sicher, daß das keine gute Idee ist. Es muß doch möglich sein, Wagner, daß einer Eurer Weddeknechte für ein paar Tage im Kloster den Ich-weiß-nicht-was macht. Warum muß immer Rosina den gefährlichsten Teil der Arbeit übernehmen?«
Was Claes kränkend fand. Offenbar hatte sie vergessen, daß auch er schon ›den gefährlichsten Teil« übernommen hatte und dabei während einer Nebelnacht fast in der Elbe ertrunken wäre.
»Weil die Domina gerade keinen Mangel an einem Ich-weiß-nicht-was hat, sondern an einem Mädchen.“ Rosina lachte. »Ach, Anne, es ist nicht wirklich gefährlich, das weißt du. Ich muß eine Rolle spielen, so wie alle Tage im Theater, nur ohne Tanz und Gesang. Und du weißt auch, daß es nicht das erste Mal ist und daß mir nie etwas passiert. Ich bin vorsichtig und kein bißchen nervös wie Mademoiselle Meyerink. Ich werde für einige Tage die Domina bedienen, hoffentlich geschickter als meine Vorgängerin, mehr nicht. Ich werde ein bißchen auf den Tratsch hören, und mit etwas Glück, wenn es sich so ergibt, auf Geräusche im Keller. Obwohl ich glaube, daß nun, da Monsieur Donner ja schon tot ist, keine mehr zu hören sein werden. Leider. Es sei denn, Mademoiselle Meyerink hat recht mit dem seligen Dominicus. Und dort«, sie zeigte zum Seeufer hinunter, »kommen endlich unsere beiden Vermißten.«
Entgegen der Annahme seines Vaters waren Niklas’ Strümpfe nicht zerrissen. Er hatte sie rechtzeitig ausgezogen und in sein Hemd gesteckt. Seine Schuhe, allerdings durch und durch naß, trug er in der Hand. Muto hatte solche Umstände nicht nötig. Wie für die meisten Jungen und Mädchen, die nicht in den großen Häusern lebten, gehörten Schuhe und Strümpfe für ihn zur kalten Zeit des Jahres.
Nach den üblichen Verbeugungen und höflichen Floskeln einer ordentlichen Begrüßung, die heute angesichts der immer noch köstlichen Düfte aus der Küche recht eilig ausfiel, zupfte Muto Niklas eifrig am Hemdärmel. Seine Hände machten flinke Bewegungen, sein Mund öffnete sich zu einem stummen Lachen der Vorfreude, und auch als Niklas kurz und energisch den Kopf schüttelte, zog er weiter an dessen Ärmel und zeigte auffordernd auf die Wölbung von Niklas’ Hemd.
»Was will der Junge?« Claes sah ratlos der stummen Zwiesprache zu.
»Er will, daß Niklas irgend etwas aus seinem Hemd zieht und uns zeigt.« Rosina, seit langem mit Mutos Art zu reden vertraut, fand es immer wieder erstaunlich, daß andere ihn nicht verstanden.
»Die Beute. Natürlich!« rief Claes. »Die wollen wir unbedingt sehen.« Und Anne sagte: »Unbedingt, Niklas. Laß uns sehen, was ihr mitgebracht habt.«
»Ihr werdet sie aber nicht mögen.« Niklas legte schützend die Hände auf sein vorgewölbtes Hemd.
»Woher willst du das wissen? Nun zeig es uns schon.“ Augusta beugte sich vor und wollte nach dem weißen Zipfel greifen, der aus dem Hemd hervorsah.
Niklas stöhnte, wie es nur ein Dreizehnjähriger kann, der sich von Erwachsenen wie ein Kind behandelt fühlt, öffnete ergeben einen Hemdknopf und hob behutsam, als sei er aus kostbarstem chinesischem Porzellan, einen seiner Strümpfe heraus, legte ihn auf den Tisch und faltete ihn mit spitzen Fingern auseinander.
Er hatte
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