Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die zerbrochene Welt 01 - Die zerbrochene Welt

Titel: Die zerbrochene Welt 01 - Die zerbrochene Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
das mächtige Haupt der Echse saß, das mit seinem enorm langen Schnabel einem spitzen Keil glich. Vom Scheitel bis zum Halsansatz verlief ein hoher, gewellter, messerscharfer Hornkamm. Dieser als Klinge bezeichnete Kamm war eine gefürchtete Verteidigungsund Angriffswaffe. Ihr verdankten die Mamoghs den Beinamen »Fliegendes Schwert«.
    Taramis begrüßte seinen Gefährten wie einen Bruder. Allon rieb seinen flaumgefiederten Hals am Kopf des Reiters und stieß leise Gurrlaute aus. Die Riesenschwallechsen suchten sich gewöhnlich einen Lebenspartner, zu dem sie hielten, bis der sprichwörtliche Tod die beiden schied. Es musste kein Artgenosse, sondern konnte auch ein Mensch sein. Wenn Letzterer starb, ging oft auch das Mamogh ein.
    »Gib’s zu, du hast mich vermisst, alter Bursche«, sagte Taramis, während er liebevoll den Federflaum seines Gefährten kraulte.
    Die Riesenschwallechse antwortete mit einem verhaltenen Pfeiflaut, der beinahe wie ein Seufzer klang.
    »Mir ist zu Ohren gekommen, dass du dir ordentlich den Magen vollgeschlagen hast. Hoffentlich ist dein Futterbedarf für die nächsten sechshundert Meilen gedeckt. Zum Rasten wird uns keine Zeit bleiben. Wir müssen schnellstens auf die Heilige Insel zurück.«
    Allon schnarrte wie zur Bestätigung.
    »Mach dich mal klein, damit ich dir das Geschirr anlegen kann.«
    Taramis holte aus einem nahe gelegenen Stall das Sattelzeug. Es war zweckmäßig und leicht. Die Reiter anderer Menschenvölker mussten sich auf Reisen durch den Weltenozean in Luftkapseln einschließen. Er dagegen konnte sich gefahrlos den Äther um die Kiemen wehen lassen.
    Mit oft geübten Griffen legte er Allon das Geschirr an. Eine Trense im Schnabel des Tieres gab es nicht. Die an den vorderen Schwallhäuten durch Ringe gezogenen Riemen dienten der temperamentvollen Echse lediglich als Orientierungshilfe, denn normalerweise dirigierte der Reiter sein Mamogh nur mithilfe seines Willens. Irgendwie spürten die Tiere, wohin ihre Gefährten sie lenken wollten.
    Neben dem eigentlichen Sattel auf den Schultern der Echse bestand das Reitzeug aus einem dahinter angebrachten Lederschurz mit Halteschlaufen, in denen sich notfalls weitere Personen einhängen konnten. Außerdem verfügte das Sattelzeug über mehrere Taschen und Futterale zum Verstauen des Gepäcks und der Waffen. Der Schild Schélet hing ebenfalls in Griffweite, um ihn im Ätherkampf oder bei einem Luftgefecht sofort zur Hand zu haben. Er war ein Geschenk von Marnas und bestand aus dem ovalen, gewölbten, ungewöhnlich leichten Panzer einer jungen Lederschildkröte. Der legendäre Waffenschmied Barkas hatte ihn mit verschiedenen Baumharzen gehärtet, bis er die Festigkeit von Schwertstahl besaß. Außerdem verlieh er ihm Selbstheilungskräfte: Ob Loch, Kerbe oder Schrunde, jede Verletzung des Schilds schloss sich nach kurzer Zeit von allein.
    Nachdem sämtliche Gurte festgezurrt und alle Schnallen kontrolliert waren, legte Allon seinen schwanenartigen Hals der Länge nach auf den Boden. Damit lud es seinen Reiter nicht nur zum Aufsteigen ein, es war auch eine Geste der Unterwerfung gegenüber dem Anführer – wie viele Schwarm- und Rudeltiere fühlten sich Mamoghs nur in einer Hierarchie wohl, in der sie einen festen Platz einnahmen.
    Taramis setzte sich die Kristallbrille zum Schutz der Augen auf, schwang sich in den Sattel, umschloss den Hals des Mamoghs mit seinen Beinen und rief mit fester Stimme: »Bring mich nach Jâr’en, mein Freund. Ob ich nun schlafe oder wache, ruhe nicht, ehe wir im Garten der Seelen niedergehen.«

Rauch über der Heiligen Insel
    Z eridianer schätzten Mamoghs wegen ihres Muts, ihrer wilden Kraft und ihrer Ausdauer. Tagesetappen von bis zu vierhundert Meilen bewältigten die riesigen Echsen, ohne merklich zu ermüden. Oft jagten sie obendrein während der Reise, und sie schliefen sogar im Schwallen. Um Letzteres beneidete Taramis seinen Gefährten.
    Er hatte in den vergangenen dreißig Stunden kaum ein Auge zugetan. Die Sorge um Xydia brachte ihn noch um. Sie war für ihn der liebenswerteste Mensch der Welt. Selten sah man sie in gedrückter Stimmung oder schlechter Laune. Ihre Unbekümmertheit hatte etwas Ansteckendes – wer sich ihr missmutig näherte, verließ sie meist mit einem Gefühl der Leichtigkeit.
    Von dieser hartnäckigen Art war auch Taramis’ derzeitiger Gemütszustand. Unaufhörlich kreisten seine Gedanken um Gulloths Fluch. Hatte der Antisch von einer realen Bedrohung gesprochen? Oder

Weitere Kostenlose Bücher