Die zerbrochene Welt 01 - Die zerbrochene Welt
Feuermenschen; wie Blutegel hatten sie sich in seinem Bewusstsein festgebissen: Bereits jetzt, während du noch triumphierst, wird dir das Liebste genommen, das du besitzt. Deine …
Hatte der Antisch Braut sagen wollen?
Die Vorstellung, seiner Verlobten könne Gefahr drohen, brachte ihn fast um den Verstand. Ihretwegen hatte er sich ja überhaupt auf dieses Abenteuer eingelassen. Jetzt nicht bei ihr zu sein, sie in dieser Stunde nicht zu beschützen, machte ihn schier wahnsinnig. Hätte er nur auf ihre jüngere Schwester Shúria gehört!
Diese hatte Xydia vor zwei Jahren von einem verstörenden Traum erzählt. Abgesehen von kurzen Familienbesuchen lebte das stille, ausgesprochen hübsche Mädchen auf Luxania, der Insel der Seher, einer kleinen Scholle am Rande des Zeridia-Archipels. Shúria war, wie schon ihre verstorbene Mutter, eine Gesegnete – so bezeichnete man Menschen, die Gao mit besonderen Gaben beschenkt hatte. Sie sah seit frühester Kindheit zukünftige Ereignisse voraus. Auf Wunsch ihres Vaters wurde sie deshalb von den Weisen Luxanias in der Kunst des Prophezeiens unterwiesen. Mit vierzehn hatte sie ihr Elternhaus verlassen, inzwischen war sie sechzehn.
Bei ihrer vorletzten Stippvisite auf Jâr’en war Taramis unfreiwillig Zeuge des Gesprächs der beiden Schwestern geworden – er hatte Xydia ein Geschenk bringen wollen. Shúria wirkte wegen ihres Traums beunruhigt. Darin ging es um eine Bedrohung aus dem Schwarzen Herzen von Berith. Sie hatte das umwölkte Zentrum der Scherbenwelt gemeint, von dem Armeen der Finsternis über die Inseln des Lichts herfallen würden. In diesem Zusammenhang erwähnte sie eine uralte Weissagung der Nebelwächter von Luxania. Sie warnte vor dem Anbruch eines dunklen Zeitalters, sofern man der nahenden Plage nicht begegne.
Taramis hatte bis dahin weder etwas von Nebelwächtern noch von einer Bedrohung aus der innersten Zentralregion gehört. Er meinte, das zarte Mädchen habe sich diese Gruselgeschichte nur ausgedacht, um Xydia zu beeindrucken. Im Gegensatz zu ihm hatte die ihrer kleinen Schwester geglaubt und sie gefragt, wie man eine Nebelwächterin werden könne.
Erst jetzt war Taramis aufgewacht. Durch Gulloths Fluch. Auch der Antisch hatte von einer Plage gesprochen. Und die Heimatinsel seines Volkes lag nach einhelliger Gelehrtenmeinung in jener von Schatten beherrschten Region des Ätherischen Meeres, die zu erforschen nie ein Entdecker gewagt hatte.
Taramis liebte Xydia mit jeder Faser seiner Seele, und sie erwiderte seine Gefühle. Bei ihrem heimlichen Verlöbnis hatte sie gesagt: »Wir sind nebeneinander aufgewachsen, aber wir werden miteinander durchs ganze Leben gehen.« Was konnte beflügelnder sein als ein solches Versprechen? Vergessen waren danach die verletzenden Worte der Neider und Spötter, die ihn als menschenscheuen Einzelgänger belacht, als Halbblut verachtet und als Bastard beschimpft hatten. Der Triumph über das Phantom von Zeridia mochte vieles ändern. Dem Bezwinger Gulloths würde Xydias Vater sicher nicht die Hand seiner Tochter verweigern.
»Heute Nacht feiern wir dir zu Ehren ein Fest«, verkündete das Stammesoberhaupt Zorbas, ein kleiner, ungemein stämmiger Jäger von etwa sechzig Jahren. Zuvor hatte er den Helden vor der versammelten Dorfgemeinschaft zu seinem Sieg beglückwünscht. Der Häuptling war Elis Bruder und somit Xydias Onkel.
»Sollten wir lachen, wo so viele, darunter dein eigener Neffe, zu beweinen sind?«, entgegnete Taramis ernst. Er wollte so schnell wie möglich nach Jâr’en aufbrechen, wollte sehen, dass es seiner Verlobten gut ging.
Zorbas legte ihm mit feierlicher Miene die Hand auf die Schulter. Eine Geste von anrührender Komik, denn Taramis war mit seinen sechs Fuß und zwei Zoll um etliches größer als der Alte. »Du bist fernab deiner Heimat aufgewachsen, Junge, deshalb kennst du unsere Bräuche nicht. Lauris war ein Jäger. Ebenso all die anderen, die fortgegangen sind. Wir werden ihre Namen in Ehren halten. Doch auf Zeridia ist der Tod ein häufiger Gast. Wir dürfen nicht aufhören zu leben, wenn einige der Unsrigen sterben.«
Taramis seufzte. Die Gastfreundschaft war seinem Volk heilig. Wie konnte er sich aus dieser Situation nur herauswinden, ohne den Häuptling und das ganze Dorf zu beleidigen? »Ich muss mich um Allon kümmern«, sagte er lahm.
»Es war unseren jungen Reitern eine Ehre, dein Mamogh zu versorgen. Vor knapp einer Stunde hat es einen Wels verschlungen, der deinem Antisch an
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