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Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer

Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer

Titel: Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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der Einheit zwei leuchtende Bänder webte, beide orange, Shúrias lichter, Aris dunkler. Ihnen folgend, setzte er den nächtlichen Marsch durch Gan Nephaschôth fort.
    Nach nicht einmal drei Meilen erreichte er eine Lichtung, wie er schon viele überquert hatte. Vor ihm verzweigten sich die ineinander verflochtenen Linien. Zielstrebig hielt er auf das Ende der helleren zu. Sein Herz schlug heftig. Vor ihm ragte ein schlanker Baum mit fahl gefleckter Rinde auf, dessen Laub im Mondlicht silbrig schimmerte. Wie auch alle anderen hier stand er auf Stelzwurzeln, dem einzigen zuverlässigen Erkennungsmerkmal der Seelenbäume – ansonsten waren sie so mannigfaltig wie die mit ihnen verbundenen Menschen.
    So ungeduldig, als nähere er sich der richtigen Shúria, streckte er die Hand nach einem dicken Wurzelstrang aus, lange bevor er ihn erreicht hatte. Oberhalb der Stelzen glich der Symbiont seiner Liebsten entfernt einer gesunden und starken Birke. Liebevoll legte er die Finger auf die glatte Rinde. Sie war warm. Er schloss die Augen, stellte sich Shúrias Gesicht vor und strich so sanft darüber hinweg, als liebkose er ihre Wange und …
    Plötzlich hielt er erschrocken inne. Ihm war gerade so gewesen, als streichle er wirklich ihre samtene Haut. Und noch etwas anderes spürte er: ihre Angst um Ari.
    Todesangst.
    Was zuvor nur eine Vermutung gewesen war, erschien ihm mit einem Mal sonnenklar. Die Schollen von Berith klumpten sich tatsächlich wegen der menschlichen Gefühle zusammen. Es war dieselbe Reaktion, die fast jeder zeigte, wenn er um sein Leben bangte. Dann breitete er nicht die Arme und Beine aus – wie ein Müßiggänger im Gras – , sondern zog sämtliche Gliedmaßen an den Körper oder verharrte sogar in der Stellung eines Ungeborenen im Mutterschoß. Und welche Furcht könnte stärker sein als die der Mütter um ihre Kinder? Aus diesem dunklen Quell entsprang eine Kraft, die das Gefüge der Welt zu erschüttern drohte.
    Für Liver war Eglon die Schlüsselperson gewesen. Er hatte ihn als Lenker bezeichnet, der menschliche Gefühle umzudirigieren vermochte. Olam war zu ähnlichen Schlussfolgerungen gekommen. Der Feuerkult von Komana diene einem »überaus perfiden Zweck«, hatte der Äonenschläfer darüber hinaus angedeutet.
    Taramis interessierten nicht die abgefeimten Details hinter dem grausamen Opferkult. Jedenfalls vorerst noch nicht. Zunächst musste er Shúria und Ari retten. Mit langen Schritten stapfte er durch das Gras der Lichtung zum Seelenbaum seines Sohnes hinüber. Überraschenderweise stand er nur einen Steinwurf von dem seiner Mutter entfernt; es war ein kräftiger junger Nadelbaum.
    Die Rinde auf den Stelzwurzeln war rauer als bei Shúrias Symbionten. Auch hier spürte Taramis Leben und Besorgnisse. Offenbar beschäftigte sich sein Sprössling eher mit dem Schicksal anderer als mit dem eigenen. Als Vater fand er das bis zu einem gewissen Maß sogar beruhigend. Andererseits: Ari war ein Kind, er mochte die grauenvolle Dimension der Schwierigkeiten, in denen er und seine Mutter sich befanden, gar nicht überblicken.
    Als Taramis den Seelenbaum seines Sohnes wieder losließ, war er innerlich gespalten. Shúria und Ari lebten. Dem Zustand ihrer Symbionten nach zu urteilen, schien es ihnen – zumindest körperlich – gut zu gehen. Diese Zuversicht wog für ihn alle Gefahren auf, die mit der Landung auf Jâr’en verbunden waren. Andererseits erfüllte ihn Shúrias Todesangst mit tiefer Sorge. Sie neigte nicht gerade zu hysterischen Reaktionen, ließ sich auch nicht leicht erschrecken. Wenn sie dennoch eine so große Furcht plagte, dann musste es dafür einen triftigen Grund geben.
    Er durfte keine Zeit verlieren. Mithilfe des Reifs der Einheit konnte er seine Familie finden und sie befreien. Nein, wie mit der Axt im Walde würde er dabei nicht vorgehen. Durch die ernste Warnung seines Vaters war er nachdenklicher geworden, als er es ihm gegenüber hatte zugeben wollen. Das Drachenfeuer war ein zweischneidiges Schwert, das wie von selbst aus der Scheide sprang – und er wusste im Voraus nie, ob es Rettung oder Vernichtung brachte …
    Ein Geräusch riss ihn aus den Gedanken. Das Gras hinter ihm raschelte. Er fuhr herum und hob abwehrbereit den Feuerstab wie einen Speer.
    Auf der Lichtung näherte sich ihm eine kräftige Gestalt, die er selbst im Dunkeln am Klang ihrer Schritte erkannt hätte.
    »Bohan! Was hast du hier zu suchen?«, rief er gereizt.
    »Ich wollte dich nur fragen, wann du

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