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Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer

Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer

Titel: Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Abgesehen von einigen verdienten Untertanen aus niederen Volksschichten, hatte das Auswahlkomitee vor allem den Honoratioren des Reiches und den dagonisischen Staatsgästen die Silberfischchen zugeteilt.
    Die Vorführung der Braut – von Siath auch die große Fleischbeschau genannt – war der Auftakt zum Ritual. Geschlagene drei Stunden lang sollte sich Shúria von den Besuchern begaffen lassen.
    Ein Priester wies mit der Hand zu einer Plattform mit einem Baldachin, der die Frauen vor der direkten Sonneneinstrahlung schützte. Sie erklommen die flachen Stufen, schritten zu den dort bereitgestellten Stühlen und ließen sich darauf nieder.
    Shúria ertrug äußerlich ruhig den Jubel der Massen, der bald abebbte. Sie hielt auch den neugierigen Blicken stand. Ihr Bewusstsein stülpte sich gleichsam nach innen, kapselte sich ab. Dabei konnte sie allerdings nicht umhin, über Siaths Rolle in dieser grausamen Aufführung nachzudenken. Warum hatte sie ihr denn nicht gesagt, dass ausgerechnet sie ihr Ersatz sein sollte?
    »Möchtest du etwas trinken?«
    Shúria erschrak. Die Geräusche zwischen den Palastmauern waren so vielfältig und laut, dass sie die Schritte der Ganesin überhaupt nicht gehört hatte. Jetzt blieb diese neben ihr stehen und hielt ihr ein goldenes Tablett mit einem Kristallkelch hin, in dem sich Wasser befand.
    »Solange ich dich bediene, darf ich mit dir reden. Also lass dich gefälligst bedienen«, sagte Siath mit zusammengebissenen Zähnen und künstlichem Lächeln.
    »Warum wusste ich nichts davon?«, zischte Shúria. Sie zog den Mund ebenfalls in die Breite und griff betont langsam nach dem Trinkgefäß.
    »Ich habe Adluh darum gebeten, ohne tatsächlich zu glauben, dass sie sich für mich verwenden würde. Erst heute früh erfuhr ich, dass mir die Rolle der Stellvertreterin zugefallen ist.«
    »Du wolltest es freiwillig? «, entfuhr es Shúria. Nervös nippte sie an ihrem Kelch. »Aber warum denn nur?«
    »Weil ich den Großen Fisch töten werde, wenn du es nicht tust.«
    »Was?« Sie verschluckte sich.
    Siath kniete sich vor ihr nieder, tupfte mit einem Tuch an ihrem Kleid herum und raunte: »Bei einem meiner Ausflüge habe ich Menschen kennengelernt, die Komana von Og, Eglon und dem Feuerkult befreien wollen. Ich habe mich ihnen angeschlossen. Sie warten nur auf ein Zeichen, um sich zu erheben.«
    Shúrias Husten legte sich. Vorsichtig trank sie einen weiteren Schluck Wasser und hob in einer preziösen Geste die Hand vor den Mund. »Ich bin keine Mörderin.«
    »Eglon hättest du doch auch erstochen.«
    »Das war …« Unmerklich schüttelte sie den Kopf. »Das war … Ich hätte ihn aus Notwehr getötet.«
    »Ist es hier etwa anders?«
    »Ich habe kein Messer.«
    »Nimm deinen Goldreif und bieg ihn auf. Die Stoßkante ist scharf genug, um dich zu verletzen. Ein oder zwei Blutstropfen von dir und das fette Schwein stirbt.«
    »Das kann ich nicht tun.«
    Siath nickte. Auf einmal wirkte ihr Lächeln echt. »Das habe ich gewusst, Schwester. Deshalb wollte ich ja auch an deine Stelle treten, wenn du den anderen Weg gehst.«
    »Den anderen …?« Benommen stellte Shúria den Kelch auf das Tablett.
    Die Ganesin verneigte sich tief und raunte hinter ihrem herabgefallenen Haar: »Wie immer deine Entscheidung ausfällt, ich werde sie achten. Wahrscheinlich werden wir beide diesen Tag nicht überleben. Behalte mich als Freundin im Herzen bis zuletzt.« Sie kehrte zu ihrem Stuhl im Hintergrund zurück.
    Wie schon zuvor verkroch sich Shúria wieder in ihrem Kokon, unerreichbar für die Gaffer auf dem Rasen. Der kurze Wortwechsel hatte sie aufgewühlt. Siath sollte eine Freiheitskämpferin sein? Die Frau, die sich nach der Erlösung durch den Tod gesehnt hatte? Passte das? Oder war es nur Täuschung gewesen, weil sie sich damals noch nicht gekannt hatten? Steckte hinter ihrem Wunsch, den Ofen von innen zu sehen, gar irgendeine verschwörerische Absicht?
    Shúria kontrollierte den Sonnenstand. Eine halbe Stunde mochte vergangen sein. Ihre Galgenfrist war auf zweieinhalb Stunden geschrumpft, sehr lang zum Bangen, sehr kurz zum Hoffen. Ob sie es überhaupt bis zu Ogs gloriosem Auftritt aushielt, wusste sie nicht. Für sie stand fest, dass sie das Fleisch des Großen Fisches – wie der Eunuch sich ausgedrückt hatte – auf keinen Fall in sich spüren wollte. Doch ihn kaltblütig zu ermorden, das vermochte sie auch nicht.
    Entweder kam Taramis vorher und befreite sie … oder sie würde durchs Feuer

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