Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer
erste Haremsdienerin.
»Keine Anzeichen von Krankheit? Keine Blutungen? Der König hat darauf gedrungen, ausdrücklich danach zu fragen.«
Adluh entblößte ihr Lattenzaungebiss. »Sie ist vollkommen, mein lieber Abah. Sie duftet wie eine Blumenwiese, ihr Haar ist wie Seide und ihre Haut so zart wie der Arsch eines Säuglings.«
»Dann bleiben uns heute hoffentlich weitere Komplikationen erspart. Ich habe nämlich keine Lust, wegen einer Hetäre durchs Feuer zu gehen.«
»Mir geht es genauso.«
Zum Zweck der Endabnahme wandte sich der Eunuch nun Shúria zu.
Sie trug ein knöchellanges, schmal und betont schlicht geschnittenes Kleid aus weißem Leinen, das weniger durchsichtig war als die Hemden, die sie zu Ogs Privatvergnügen hatte anziehen müssen. Auch der spitze, mit Goldfäden bestickte Ausschnitt, der den Brustansatz nur erahnen ließ, war beinahe züchtig zu nennen. Ihre Haare durfte sie offen tragen, damit die Kiemenspalten am Hals bedeckt blieben. Lediglich ein goldener Reif, das Symbol der Königinnenkrone, hielt sie aus der Stirn fern. Die Füße blieben unbedeckt, so verlangte es das Zeremoniell.
Unsicher suchte sie den Blickkontakt mit ihrer Freundin. Siath nickte ihr aufmunternd zu. Sie stand, ebenfalls schneeweiß gekleidet, etwas abseits. Ihren Arm hatte sie um Aris Schulter gelegt. Das Gesicht des Jungen war ernst.
»Ich bin zufrieden. Abgesehen von dem Halsschmuck«, sagte der wandelnde Berg und deutete mit seiner Pranke auf das Lederband, an dem der Sternensplitter hing.
Shúrias Hand legte sich schützend auf den Anhänger. Sie hatte die Knoten am Morgen eigens neu geknüpft, damit er im Ausschnitt verschwand. Bei dem Gang, der ihr nun bevorstand, wollte sie ihn tragen. Vielleicht würde er mit ihr im Feuer enden.
»Das ist ein Liebesstein«, sagte Adluh. »Der König hat ihn gebilligt.« Diese Geschichte hatte Siath der Oberharemsdienerin glaubhaft machen können. Shúria verstand selbst nicht, warum sich die Ganesin in dieser Sache so für sie einsetzte. Für sie war es doch nur ein schwarzer Stein.
»Tatsächlich?«, wunderte sich Abah. »Na, meinetwegen, wenn’s hilft. Ich bin nicht der Zeremonienmeister. Sofern die Angelegenheit besprochen ist, soll sie ihn behalten.« Erneut sah er Shúria an. »Deine Dienerin begleitet dich und geht dir zur Hand; das kennst du ja von den Proben. Der Junge wird den Tempelwächtern übergeben.«
Sie erschrak. » Was?! Warum den Wächtern?«
»Damit du auf keine dummen Gedanken kommst, so hat es Seine Majestät der König ausgedrückt. Solltest du dich ihm beim Liebesakt verweigern, wird dem Bübchen ein Feuer unterm Hintern gemacht.«
»Es hieß aber, mein Sohn darf hierblei-«
»Still jetzt! Darüber kann nicht verhandelt werden.«
»Und wenn ich mich weigere?«
»Du meinst: in diesem Augenblick? Dann geht deine Vertreterin aufs Dach.« Die wulstigen Lippen des wandelnden Berges verzogen sich zu einem bösen Lächeln. »Und du wirst mit deinem Jungen in Flammen aufgehen, ehe Siath das Fleisch des Großen Fisches in sich spürt.«
»Siath?«, entfuhr es Shúria. Sie hatte gedacht, ihre Freundin sei so herausgeputzt worden, weil sie als ihre Dienerin in der Öffentlichkeit auftreten sollte. Ihr Blick sprang zu der Ganesin hinüber.
Diese schüttelte mit einer gequälten Miene den Kopf, als erfahre sie erst jetzt davon. »Es tut mir leid, Shúria.«
Als die Sonne den Zenit erreichte, betrat die Braut des Großen Fisches den dreieckigen Platz vor der Thronhalle. Hinter ihr lief ihre Dienerin mit einem leuchtend weißen Tuch über den angewinkelten Armen, einem Symbol der Reinheit. Da es sich um eine religiöse Zeremonie handelte, hatten Tempelwachen ihren Schutz übernommen, hielten sich jedoch im Hintergrund. Begleitet von vier in schwarzen Roben gekleideten Priestern traten die beiden Frauen an den Rand der Absperrung vor, Shúria ganz vorn, Siath drei Schritte hinter ihr. Ihre leichten Gewänder flatterten im Wind, ebenso wie ihre langen Haare.
Im Park brach Jubel aus.
Weil Komana das große Ritual der Vereinigung in diesem Jahr zum zehnten Mal feierte, hatte Og das Volk in den Palastgarten eingeladen – sonst versammelte es sich auf dem Tempelvorplatz. Wegen der beengten Verhältnisse waren nur etwa zehntausend Zuschauer eingelassen worden, die jeweils eine von den begehrten Silberfischen ergattern konnten, die als Zugangsnachweis dienten.
Diese Massen drängten sich jetzt auf einem Rasen zwischen zwei Schenkeln des Palastkreuzes.
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