Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer
hatte bereits Feuer gefangen. Shúria stockte der Atem, als ihre Freundin es mit ausgebreiteten Armen umfing, hochhob und oben auf den fauchenden, knisternden und knackenden Scheiterhaufen warf. Zischend verging die feuchte Rinde in der Gluthitze.
Unversehrt trat Siath aus dem Inferno heraus. Als sie sich wieder zu ihren Gefährten umdrehte, war sie nackt. Keinen Faden hatte ihr das Feuer gelassen.
»Und du hast behauptet, deine Gabe sei nichts Besonderes«, krächzte Shúria. Sie hatte sich schützend vor Ari gestellt, weil die Hitze immer unerträglicher wurde. Er schielte unter ihrem Arm hindurch zu dem Feuermädchen hinüber.
Dieses lächelte traurig. »Jeder Mensch hat wohl etwas, das zur rechten Zeit am rechten Ort von großem Wert sein kann.«
Die Temperatur im Ofen stieg schnell an. Bald schien die Luft selbst zu brennen. Die drei Todgeweihten husteten nun fast ununterbrochen. Das Atmen fiel ihnen zunehmend schwerer.
»Ich glaube, ich werde ohnmächtig«, keuchte Shúria. Ihr war schwindelig. Aus ihrem Rücken klang Aris Schluchzen. Sie spürte, wie sich Siaths Arme um sie schlangen und sie auf den Beinen hielten.
»Halt durch, Schwester«, hörte sie wie hinter einem dicken Vorhang die Stimme der Freundin.
»Nicht aufgeben, Mama«, bettelte der Junge.
»Wozu?«, fragte sie schwach. »Es ist zu spät.«
»Hast du den Sternensplitter um?«
»Siath!«, schnaubte Shúria. Der Ärger weckte ihre Lebensgeister. »Natürlich habe ich ihn. Warum fragst du ständig danach?«
»Es ist gut«, antwortete das Feuermädchen ruhig und deutete nach links. »Ich dachte schon, meine Sinne spielten mir einen Streich. Dann löst sich die Wand wohl tatsächlich auf.«
33. Der Sternensplitter
D ie knurrenden, zähnefletschenden Straßenköter kamen immer näher. Sie wussten wohl um die Gefahr der Klingen, die sich ihnen entgegenreckten, und warteten auf eine Lücke in der Abwehr des Gegners. Ein bulliger Hund mit kurzem Fell und platter Schnauze schnappte plötzlich zu.
Reibun trat mit dem Fuß nach ihm und traf ihn mitten auf die Nase. Jaulend zog sich das Tier zurück.
»Warum stichst du das Biest nicht ab?«, fragte Jagur.
»Bringst du vielleicht deine Kameraden um?«
»Sonst geht’s dir aber noch gut. Die Tölen wollen uns zerfleischen.«
»Ischáh hat sie rekrutiert, genauso wie mich.«
Der Kirrie schnaubte.
»Ich kann nicht länger warten«, sagte Taramis ungeduldig. Auch er hielt sein blankes Schwert in der Hand, weil der Feuerstab gegen vernunftlose Tiere eine nur begrenzt wirksame Waffe war.
»Was schlägst du vor?«, erkundigte sich Jagur.
»Wir hauen und stechen uns den Weg frei.«
»Gute Strategie. Hätte von mir kommen können.« Erwartungsfroh ließ er den Schaft seiner Streitaxt in die linke Handfläche klatschen.
»Seid ihr bereit?«, richtete sich Taramis an Peridas, Reibun, Nadis und Avid.
Die Rückmeldungen klangen verhaltener als beim Kirrie.
Plötzlich verdunkelte ein Schatten die Sonne. Alle Blicke wandten sich nach oben. Sogar die Vierbeiner wollten sehen, was da kam.
Es war ein geflügelter Rappe mit zwei Reitern.
Allon landete, sichtlich erschöpft, bei seinem Herrn und dessen Gefährten. Sogleich stellte er sich vor Taramis hin, richtete die Hörner auf die Straßenköter und knurrte. Da sein Haupt dem eines Hundes sehr ähnlich sah und er um ein Vielfaches größer war als diese, schien er sie besonders zu beeindrucken.
Ischáh rief vom Rücken des Hengstes etwas in einer Sprache, die Taramis nicht verstand. Es klang mehr wie Gesang als nach einem Befehl. Die Rotte winselte und jaulte so, als habe eine Königin in strengen Worten zu ihrem Gefolge gesprochen. Unversehens wirbelte die Meute herum und stob kläffend davon.
»Den Trick musst du mir unbedingt verraten«, sagte Jagur.
Sie lächelte bezaubernd. »Ich habe meinen vierbeinigen Freunden nur gesagt, es gebe beim Tempel fettere Beute als einen schrumpligen Zwerg.«
Der Kirrie schnappte nach Luft. »Ich bin …«
»War nur ein Scherz«, kicherte sie.
Jagur grinste. »Das mit dem schrumplig fand ich trotzdem nett.«
Keter schwang sich hinter Ischáh vom Ipporücken und trat zu Taramis. Seine Miene war ernst. »Wir haben getan, was wir konnten.«
»Mehr als ich für möglich gehalten hätte. Das Gartenvolk überrascht mich immer wieder. Konntet Ihr von da oben aus erkennen, wie die Lage um den Bluttempel herum aussieht?«
Der Steuermann nickte. »Sie ziehen von überall Einheiten zusammen: Tempelwächter,
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