Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer
Es hat ein bisschen länger gedauert, weil wir erst noch ein paar Götzenpriester erschlagen mussten.«
»Ischáh!«, rief Siath. Ihre Schwester hatte sie bisher nicht erkannt.
»Siath?«, fragte diese ungläubig.
Die beiden fielen sich in die Arme.
Unterdessen mobilisierten die wütenden Gaalssöhne ihr letztes Aufgebot. Sie sahen wegen der vielen Schnittwunden grauenvoll aus. Einige bückten sich nach ihren fallen gelassenen Bogen, andere zückten Schwerter und rückten auf die Menschen im Zentrum des Altarraums vor. Die Warnung der Donnerreiterin nahmen sie nicht ernst.
Jagur zupfte Ischáh am Gewand und zeigte auf den nächsten Feuermenschen. »Der da ist ganz vorwitzig. Kann ich ihm schnell den Kopf abnehmen?«
»Deine Axt bleibt liegen«, sagte sie energisch und umarmte weiter ihre Schwester.
Genau in diesem Augenblick schossen die ersten Raben durchs Fenster. Die Vögel sahen die Waffen in den Händen der Dagonisier und stürzten sich in Scharen auf sie. Aberhunderte von Schnäbeln hackten auf die Männer ein. Diese schlugen um sich, schrien, bluteten aus immer mehr Wunden, sanken auf die Knie und fielen schließlich einer nach dem anderen um. Die ganze Zeit über drückte Shúria das Gesicht des Jungen an ihren Leib und verdeckte seine Augen, damit er das blutige Ende der Gaalssöhne nicht mit ansehen musste.
»Schick sie fort, Ischáh«, sagte Taramis, als jede Gegenwehr der Antische erstorben war.
Die Donnerreiterin rief einen Befehl in jenem merkwürdigen Singsang, der schon die Straßenhunde zum Rückzug veranlasst hatte. Die Köpfe der Vögel ruckten nach oben. Sie lauschten kurz, ließen dann von den reglosen Körpern ab, schwangen sich in den Altarraum empor und schossen als Schwarm durch das offene Fenster davon.
»Für mich waren Ganesen immer die Verkörperung der Friedfertigkeit. Aber nachdem ich dich kennengelernt habe, muss ich meine Meinung wohl ändern.«
»Nein, bitte nicht, Taramis!« Ischáh lächelte. »Wo du doch endlich lernst, uns zu verstehen. Wir sind wie die Natur: schön und wild. Und welche Macht kann zerstörerischer sein als die Naturgewalten? Das Gartenvolk ruft sie nur selten zu Hilfe. Heute war es leider nötig.«
»Manchmal ist die Natur auch verletzlich.« Er deutete auf den roten Fleck an ihrer Schulter. »Du blutest.«
Sie machte eine wegwerfende Geste. »Nur der Pfeil eines Schwarzrocks; Keter hat ihn herausgezogen und mich notdürftig verbunden. Nichts gegen den Verlust von Nadis und Avid.«
Er schnappte nach Luft. »Heißt das …?«
Ischáh nickte mit bitterer Miene. »Sie sind tot. Du hattest Allon gerufen und ich wollte gerade aufsteigen, als uns die Tempelwächter unter Beschuss nahmen. So wurde ich verletzt. Jagur, Peridas, meine Leute und sogar Selvya haben mich verteidigt. Sie kämpften wie Löwen für mich. Nadis und Avid haben es nicht überlebt.«
»Das tut mir sehr leid. Sie waren tapfere Männer.«
»Taramis«, sagte Shúria in flehendem Ton. Ihre Augen huschten hierhin und dorthin, wenn aus irgendeiner Ecke ein Stöhnen kam.
Er schloss seine Arme um sie und seinen Sohn.
»Bitte, lass uns gehen«, flehte sie.
Traurig streichelte er ihre Wange. »Ihr geht. Ich bleibe.« Er gab Jagur und Ischáh einen Wink. »Bitte kümmert euch um sie. Ich nehme Allon. Wir treffen uns im Gasthaus zum mageren Drachen. Es liegt …«
»Ich kenne die Schenke«, sagte Siath.
Shúria schüttelte voller Angst den Kopf. »Was soll das heißen: du bleibst ?«
Grimmig blickte er zu den Galerien hinauf. »Diesmal muss ich es zu Ende bringen.«
35. Drachenfeuer
N icht die Glassplitter funkelten, vielmehr war es die Spur Gaals. Taramis hatte sich auf Allons Rücken in die Galerie emporgeschwungen. Dort zeigte ihm das Fährtenglühen, wohin sich der dagonisische König gewandt hatte. Er war nicht die Treppe hinab- und aus dem Tempel hinausgeflohen, sondern nach oben.
Aufs Dach?
Wollte er sich wie sein Sohn in ein Nakilep verwandeln, um durch die Luft zu fliehen? Das hätte er am zerbrochenen Fenster leichter haben können. Was auch immer der Grund dafür war, die Spur des Seelenfressers funkelte bis unter die Kuppel hinauf.
»Tut mir leid, mein Freund, dass ich dich noch einmal quälen muss«, murmelte Taramis. Der richtige Gedankenaustausch mit dem Ippo fand ohnedies auf mentaler Ebene statt.
Der Hengst nahm kurz Anlauf und sprang aus dem Fenster.
Zwar breitete er dahinter sofort seine Schwingen aus, trotzdem ging es zunächst steil abwärts. Die ohnehin
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