Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer
verschreckte Menschenmenge auf dem Tempelvorplatz kreischte vor Entsetzen, als der fliegende Reiter auf sie niederfuhr. Dicht über ihren Köpfen bekam Allon endlich genügend Auftrieb, um sich wieder himmelwärts zu bewegen.
Der Rappe war nicht weniger erschöpft als Taramis. Quälend langsam gewann er an Höhe. Dabei schnaubte er, bald stand ihm der Schaum vor dem Maul und sein Fell glänzte vom Schweiß.
Die Lage rund um das riesenhafte Dagonstandbild hatte sich etwas entschärft. Abgesehen von toten und kampfunfähigen Tempelwächtern sah Taramis keine Bewaffneten mehr. Die Tiere hatten sich an den Rand des Platzes zurückgezogen. Niemand wagte ihren Belagerungsring zu durchbrechen.
»Volk von Peor«, erklang unvermittelt eine mächtige Stimme über ihm. Ihr Besitzer bediente sich zweifellos einer Geistesmacht, um sie so weit tragen zu lassen. Es war Gaal in der Gestalt des Oberpriesters. Er stand so dicht an der Dachkante des Rundbaus, dass seine Zehenspitzen darüber hinausragten. Sein überraschender Auftritt in luftiger Höhe war so Ehrfurcht gebietend, dass die Götzendiener nach einem kollektiven Aufstöhnen in Schweigen verfielen.
»Dort seht ihr den schwarzen Reiter. Wie ihr eben erst erlebt habt, bringt er Tod und Verderben über euch«, donnerte der falsche Eglon und deutete auf Taramis. »Ich dagegen, Eglon, bin euer Mittler, der für euch zum Großen Fisch spricht, der um fruchtbare Mutterschöße und reiche Ernten bittet. Dagon lässt euer Reich wachsen, ebenso wie er euren Wohlstand mehrt und euch vor den Ungläubigen bewahrt.«
»Zeig uns dein wahres Gesicht, Gaal«, rief Taramis von Allons Rücken. Weil das Ippo aus Erschöpfung nicht senkrecht aufsteigen konnte, sondern sich mühsam himmelwärts schrauben musste, hatten sie erst knapp die Hälfte des Weges zum Dach geschafft.
Die Menge geriet in Unruhe. Er sah überraschte Mienen. Zahlreiche Lippen formten einen Namen: Gaal?
»Hört nicht auf ihn!«, dröhnte dieser. »Der schwarze Reiter versucht euren Sinn zu verblenden.«
»Nein, er ist der Blender«, widersprach Taramis und zeigte zu der kahlköpfigen Gestalt hinauf.
Viele schüttelten den Kopf. Was der Himmelsreiter da behauptete, erschien ihnen zu ungeheuerlich, um wahr zu sein.
»Dieser Mann hat gerade euren König ermordet«, schoss der unechte Oberpriester zurück.
Empörung verzerrte die Gesichter. Fäuste wurden geballt.
»Og war ein Sklave von Dagonis«, rief Taramis zornig. »Gaal hat Lebesi geschwängert, sie getötet und auch Eglon umgebracht.«
Viele fassten sich an die Ohren und schüttelten die Köpfe. Mittlerweile war die Unruhe zu groß, als dass ihn die entfernter stehenden Menschen noch zu verstehen vermochten. Wenigen gelang es trotzdem und sie gaben das Gehörte aufgeregt weiter. Dennoch merkte Taramis, wie ihm die Sache entglitt. Die Masse war wie Wachs in Gaals Händen. Er schickte sich an, ihr abermals sein Siegel aufzudrücken, so als habe es eben keinen Aufstand der Tiere gegeben.
Darüber geriet Taramis in Zorn. Zu viel Leid war von diesem Antisch schon über die Kinder des Lichts gebracht worden. Diesmal darf er nicht davonkommen! Entschlossen sammelte er die letzten Reserven seiner Geisteskraft und benutzte die Gabe, die ihm am meisten lag: Er gaukelte.
Plötzlich sahen die Menschen auf der Dachkante nicht mehr Eglon, sondern den König der Dagonisier in seiner riesenhaften Gestalt.
In Wahrheit hatte ihn Taramis sogar etwas größer gemacht, damit die Gaalattrappe aus der Entfernung gut wirkte und den darunter verborgenen Oberpriester vollständig verdeckte. Die Menschenmenge schnappte gemeinschaftlich nach Luft. Mitten in diese Lärmlücke stieß Taramis mit einem Ausruf hinein.
»Endlich zeigst du dein wahres Gesicht, Gaal. Jetzt kannst du den Menschen auch sagen, dass du ihre Frauen geschwängert hast, um ein Bastardgeschlecht zu gründen. Lass sie ruhig wissen, dass deine Söhne Seelenfresser sind, die wie Komanaer aussehen und in Wirklichkeit ihren Niedergang vorbereiten. Und verhehle ihnen auch nicht, dass die Feueropfer ganz Berith vernichten werden, weil sie das Gleichgewicht der Welt stören. Dabei könnte das Volk dieses stolzen Inselreiches ein Leben ohne Angst führen. Og ist tot – und wie lange es dich und deinen mistigen Fischgötzen noch duldet, das hat es selbst in der Hand.« An einigen Stellen seiner ebenso kurzen wie feurigen Rede hatte er vielleicht etwas spekuliert. Umso effektvoller war die Betonung der
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