Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer
uneingeschränkt »ihrem Patienten« widmen könne.
Taramis war zu erschöpft, um sich gegen die Fürsorge der Ganesin zur Wehr zu setzen. Er ließ es sogar zu, dass sie ihn stützte. Seine Beine fühlten sich wie nasse Taue an und weigerten sich standhaft, ihn ohne Hilfe Dritter zu tragen. Trotzdem wollte er in der Kiemenkapsel nicht sitzen oder gar liegen. Dazu war er viel zu unruhig. Nach dem unerfreulichen Wiedersehen mit Bochim beschäftigte ihn heftiger denn je die Frage, wie Shúria und Ari zu retten wären. Was hatte sich zugetragen, nachdem er völlig entkräftet in die Besinnungslosigkeit abgeglitten war? Ein Kratzen am Kopf erinnerte ihn an die letzten Augenblicke vor der Ohnmacht. Irritiert griff er sich ins Haar. Mehrere Zweige hatten sich darin verheddert.
»Du hingst wie eine Vogelscheuche im Baum. Ich habe dich losgeschnitten«, erklärte Jagur.
»Losgeschnitten? Du? Bist du gesprungen?«
»Wozu? Ich hab die Axt geschmissen.«
»Das hätte mich den Kopf kosten können.«
»Willst du mich beleidigen? Ich verfehle nie mein Ziel. Na ja, fast nie.«
Taramis entsann sich der Situation im Lesesaal, als der Kirrie überraschend treffsicher mit den schwarzen Schrifttafeln um sich geworfen hatte, und verzog das Gesicht. »Danke.«
Jagur grinste. »Ganz meinerseits. Lehi wäre bestimmt traurig gewesen, hätte mir der Heckenschütze in der Bibliothek ein Auge ausgeschossen.«
»Wenn du dich hinsetzt, befreie ich dich von den Resten des Olivenbaums«, erbot sich Ischáh. Schon streckte sie die Linke nach einem der Zweige aus.
Aus einem Reflex heraus fing Taramis sie wie einen Schmetterling ein. Er drückte sie sanft nieder und wurde sich dabei der Berührung bewusst. Sofort ließ er ihre Hand wieder los und sagte: »Ich muss erst wissen, was geschehen ist, während ich ohnmächtig war.«
Ein ungewohnt harter Zug bemächtigte sich Ischáhs hübschen Gesichts. Mit fast ausdrucksloser Stimme setzte sie ihn ins Bild.
Der Überfall Bochims und seiner Schergen habe Kletis das Leben gekostet. Der Seemann hatte zu den drei Wachen beim Donnerkeil gehört. Beinahe an ein Wunder grenze es, dass Keter nur niedergeschlagen worden sei. Bohan habe die Feinde in die Flucht schlagen können, bevor sie auch ihren Steuermann umbringen konnten.
»Ich hatte Glück«, brummte der Recke aus Komana. »Es waren nur vier, die sich an uns angeschlichen hatten. Der Hauptschlag galt der Bibliothek.«
»Was ist mit Liver?«
Ischáh schüttelte den Kopf.
Taramis’ Hand verkrampfte sich auf ihrer Schulter. Er hatte den Alten gemocht. Und den schlaksigen Slot ebenso. »Drei tote Gefährten. Bochim scheint wieder seinem alten Laster zu frönen: Er tötet Menschen, die mir lieb und teuer sind.«
»Ich wüsste zu gerne, wie er uns gefunden hat«, murmelte Jagur. Von unten herauf richtete er seine rosafarbenen Augen auf die Frau und die Männer, die sich im hinteren Bereich der Kiemenkapsel um Taramis versammelt hatten.
Die Ganesin schien zu ahnen, was ihm durch den Sinn ging. »Du glaubst doch nicht, einer von uns ist ein Verräter.«
»Nichts für ungut, Ischáh, wie soll ich mir das sonst erklären? Ausgerechnet auf der Unsichtbaren Insel und obendrein kurz nach unserer Ankunft taucht urplötzlich dieser Asor auf. Er ist ein Seelenfresser. Möglicherweise befindet er sich sogar unter uns und lacht sich eins ins Fäustchen, weil wir ihn nicht erkennen.«
In der Kiemenkapsel erhob sich unwilliges Gemurmel. Köpfe wurden geschüttelt.
Taramis wollte die Argumente des Kirrie nicht so einfach abtun. Der kleine Recke sprach ihm aus dem Herzen. Bochim hatte ihn Drachentöter genannt und auch sonst manches gewusst, das während der Reise geschehen war. Aber wer könnte der Seelenfresser sein? Jagur selbst? Das wäre eine raffinierte List. Oder Bohan? Ischáh gar? Jemand von ihrer Besatzung? War es überhaupt klug, mit ihnen zum Haus der Sterne zu reisen? Andererseits – was blieb ihm denn übrig? Allein auf Allons Rücken würde er den halben Weltenozean kaum durchqueren können, um seine Familie zu retten.
Er musste wachsam bleiben.
»Du übersiehst eines«, sagte Bohan. »Der Seelenfresser hatte eine Abteilung komanaischer Elitekämpfer dabei. Sind die etwa auch hier bei uns?«
Der Kirrie grunzte.
»Ich vermute eher«, fuhr Bohan fort, »der Spion sitzt in Karka. Jarmuth wusste, dass wir die Unsichtbare Insel suchen. Außerdem ist Taramis nicht der Einzige, der ihr Geheimnis kannte.«
»Und woher weißt du das?«, wunderte
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