Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung
schweren Fehlern bewahrt hätte. Sein Widerstand geriet ins Wanken. »Wir müssen einen kühlen Kopf bewahren. In diesem Kampf ist kein Platz für persönliche Rachefeldzüge.«
»Das sehe ich genauso. Frag deine Frau, ob ich hitzköpfig bin.«
»Ist nicht nötig.« Er wusste nur zu genau, dass sie in Peor geradezu kaltblütig gehandelt hatte, um seine Familie zu retten.
»Dann nimmst du mich mit?«
»Siath«, wand er sich. Er spreizte hilflos die Finger. »Ich …«
»Ohne Ischáh, Keter und mich hättest du deinen letzten Kampf kaum gewonnen. Glaubst du jetzt, wo es um alles geht, auf uns Ganesen verzichten zu können?«
Er stöhnte. Was sie sagte, war nicht von der Hand zu weisen. »Also gut. Wenn Shúria zustimmt, bist du dabei.«
Sie fiel ihm um den Hals, küsste ihn auf beide Wangen und wirbelte herum, um sich zu ihrer Freundin durchzudrängeln.
»Das kann ja heiter werden«, murmelte Taramis. Mit schmalen Augen beobachtete er, wie die Ganesin mit seiner Frau sprach. Shúria blickte ein paar Mal zu ihm herüber. Schließlich nickte sie und nahm Siath in den Arm.
Er seufzte. Sollte er sich jetzt Sorgen machen oder erleichtert sein?
»Donnerkeil in Sicht«, meldete sich Reibuns Stimme aus dem hinteren Bereich der Kiemenkapsel.
Jagur hakte seine knubbeligen Daumen in den Waffengurt ein und grinste zufrieden. »Seht ihr.«
Obwohl beide Schwaller Männchen waren, was gelegentlich zu blutigen Kämpfen führen konnte, verhielten sie sich friedlich – sie kannten sich von früheren Begegnungen. Aviathan habe das sanfte Wesen einer hundertjährigen Schildkröte, pflegte Jagur zu scherzen. Der im Vergleich dazu noch jugendliche Narimoth stand seinem Artgenossen zumindest an Größe in nichts nach.
Sobald der ältere Donnerkeil neben dem jüngeren war, wechselte ein Kirrie über die Dreiecksflossen von einem Tier zum anderen. Es war Tebok, Jagurs Steuermann. Dessen Bruder und Stellvertreter hieß Kobet, was nicht von ungefähr wie eine Umkehrung des ersten Namens klang. Die Erklärung hatte mit einer seltsamen Sitte des Piratenvolkes zu tun.
Wenn den Kirries ein Kind geboren wurde, musste der Vater seinem Anführer den Obolus zahlen. Die Höhe dieser Steuer richtete sich nach der Länge und Originalität des Namens. Nun hatten die beiden Brüder das Pech, in eine ungemein erfolglose Piratenfamilie hineingeboren worden zu sein, die auf einer kleinen Scholle unweit von Malon wohnte. Als ein Jahr nach Tebok sein Brüderchen zur Welt kam, waren ihre Eltern so bettelarm, dass sie sich für das Neugeborene nur einen gebrauchten Namen leisten konnten: Daher drehten sie den des älteren Bruders einfach um und kamen auf diese Weise ziemlich billig davon.
Der Steuermann wirkte erleichtert, als er auf Ischáhs Zeichen hin von der vorderen Luftschleuse in die Kiemenkapsel wechseln durfte. Mehr als einhundert Atemzüge vermochte auch ein Kirrie nicht in der dünnen Luft des Äthers zu überleben. Jagur begrüßte den Kameraden in der ihm eigenen Bärbeißigkeit, die nur Eingeweihte als raffiniert getarnte Herzlichkeit erkannten.
»Tebok, du altes Schildkrötengesicht, wo habt ihr euch so lange rumgetrieben?«
Kein Schönheitsideal genoss im Volk vom Berge höhere Beachtung als ein faltiges Antlitz. Verständlicherweise fühlte sich Tebok von der Begrüßung seines Herrn und Stammesbruders erkennbar geschmeichelt. Der Seefahrer war eine Handbreit kleiner als Jagur und beinahe so stämmig wie er. Er hatte honiggelbe Haare, wasserblaue Augen und eine knarrende Stimme.
»Aviathan war weit draußen auf der Jagd. Du sagtest, wir könnten uns Zeit lassen, weil du den Nachwuchs unseres Freundes gebührend feiern willst.« Er deutete mit dem Daumen auf das Neugeborene, das in den Armen seiner Mutter schlief. »Ist es das?«
»Ja«, antwortete Jagur knapp. »Sie heißt Aïschah.«
»Ich habe selten ein Kind mit so zerknittertem Gesicht gesehen. Sie ist bildschön. Man könnte sie fast für deine Tochter halten.«
»Das solltest du besser nicht in Gegenwart des Vaters sagen. Er ist da ziemlich empfindlich.«
Taramis machte eine wegwerfende Handbewegung und richtete nun selbst das Wort an den kleinen Steuermann. »Ist Aviathan bereit für eine weite Reise?«
»Wann?«
»Sofort.«
Tebok seufzte. »Wenn es sein muss. Proviant ist genügend da, um bis ans andere Ende der Welt zu schwallen. Kobet und ich hatten zwar gehofft, uns für ein paar Tage in einer gemütlichen Höhle verkriechen und Jagur beim Feiern ablösen zu
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