Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung
Im Weltenozean existierte Licht nur als Wegweiser zu fernen Inseln und noch viel weiter entfernten Sternen. Trotzdem glaubte Taramis zu wissen, was er gerade gesehen hatte. »Das ist Narimoth.«
»Bist du sicher?«
»Ischáh zeigt uns seinen Bauch. Dadurch ist das Glitzern der Kristallkuppel von der Insel aus nicht sichtbar.«
»Und wenn es ein kesalonischer Äthersalamander war?«
Taramis stöhnte. »Als Blender kannst du mir bestimmt den Unterschied zwischen einem Blinden und einem Schwarzseher erklären.«
Ein unverständliches Grummeln war alles, was Jagur darauf erwiderte.
Letztlich erwies sich Taramis’ Einschätzung als zutreffend. Im Widerschein der Scholle erschien die elfenbeinerne Unterseite eines Donnerkeils. Mit einem Mal tauchte Aris Kopf hinter der oberen Dreiecksflosse auf.
»Papa!«, schrie er übermütig. Sein sonst so kräftiges Organ klang seltsam dünn im Äther.
»Ari!«, antwortete Taramis. Er war überglücklich, seinen Sohn wohlbehalten wiederzusehen. Mit noch immer schwacher innerer Stimme befahl er seinem Ippo, um die Geflügelte Streitaxt herumzuschwallen.
»Ich habe Ischáh zu dir geführt«, sprudelte der Junge hervor, kaum dass sie auf dem Rücken des Giganten gelandet waren.
Der Vater nickte selig lächelnd und schloss den Knaben in die Arme. »Ich wusste, dass auf den kleinen Löwen Verlass ist. Ist alles hergerichtet, einen kurzen Recken und ein Ross aufzunehmen, die unter Atemnot leiden?«
»Sehr witzig!«, knurrte Jagur.
Ari deutete in die Kiemenkapsel, in der Shúria stand und ihrem Mann zuwinkte. »Onkel Keter hat mit Reibun und Almin ein Schott ausgerollt. Sie warten dahinter, bis ihr drinnen seid. Mama macht uns auf, wenn du es sagst.«
»Fast wie in alten Zeiten. Dann los!«
Der Junge gab seiner Mutter ein Zeichen. Diese entriegelte die Halterung der kristallenen Abdeckung, und Ischáh ließ ihren Schwaller mit einem Ruck absacken. Dadurch öffnete sich der vordere Abschnitt der lang gezogenen Kuppel, und Taramis konnte sein Ippo ins Innere des Atemraumes lenken.
Sobald die Kapsel wieder verschlossen war, fiel Shúria ihrem Mann um den Hals und küsste ihn stürmisch. Unterdessen trieb die Donnerreiterin ihr Tier zu einem wilden Ritt an, damit seine Kiemen rasch den durch das Manöver erlittenen Luftverlust ausglichen. Das begrüßte vor allem Jagur, der ganz blau im Gesicht war, weil seine Lungen aus der Atemblase des Ippos nur noch verbrauchte Luft saugten.
Shúria war von den Strapazen der Geburt und der überstürzten Flucht seelisch einem Zusammenbruch nahe. Sie weinte und lachte und redete lauter wirres Zeug. Ari, der mit seinem besonderen Gespür für die inneren Nöte anderer schon mancher Frau neuen Mut eingeflößt hatte, lief zu seiner Mutter und umarmte sie. Und auch Taramis tröstete sie.
»Mir fehlt nichts, Schatz. Jetzt wird alles gut.«
»Als Siath kam«, schluchzte Shúria, »und sagte, du hättest sie fortgeschickt, da war mir, als würde ich dich nie mehr wiedersehen. So, als zeigte sich mir die Zukunft …«
»Es war keine Vision, Liebes. Nur ein Sturm in deiner Seele. Er wird sich bald legen. Dann bist du wieder so stark wie im letzten Jahr, als du dem König der Finsternis und seinen Schergen die Stirn geboten hast.«
»Ich möchte nicht, dass du von uns gehst, Taramis.«
»Mir geht es genauso.« Er schüttelte traurig den Kopf. »Aber wenn ich jetzt bei euch bleibe, werden wir über kurz oder lang für immer getrennt sein. Willst du das?« Er hasste sich für seine Schonungslosigkeit.
»Nein«, schniefte sie.
Mittlerweile hatten Narimoths Kiemen genug Atemluft in die Kristallkapsel gepumpt, um das Schott zu öffnen. Ischáh, Lehi, Keter, Reibun und Almin begrüßten die beiden Freunde. Siath blieb im Hintergrund. Ihr hübsches Gesicht wirkte verschlossen, während sie Aïschah im Arm hielt, die selig schlief.
»Wir haben euch vermisst«, sagte Taramis schließlich. Rechts umarmte er Shúria, seine linke Hand lag auf Aris Schulter.
»Wir wurden von einer Ätherschlange angegriffen«, antwortete die Donnerreiterin.
»Dagonisier?«
Ischáh schüttelte den Kopf. »Die Streifen seiner Reiter waren nur tätowiert. Sie saßen so wie wir unter einer Kiemenkapsel. Siath meinte, Kesalonier hätten dein Haus überfallen. Diese Schlangenreiter gehörten zweifellos zu ihnen.«
»Hat Narimoth der Echse seinen Giftstachel gezeigt?«
»Ich bin einem Kampf aus dem Weg gegangen. Deine Tochter wird noch früh genug erfahren, wie hart das
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