Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung
berühren. Plötzlich lachte das Wesen höhnisch und wich vor ihm zurück.
»Warte!«, rief Taramis und lief ihm hinterher. Wohin, das wusste er nicht. Um ihn herum wirbelten Schneeflocken, die nichts anderes erkennen ließen als die verblassende Gestalt des Zioraners. Sosehr sich Taramis auch bemühte, das schaurig schöne Geschöpf einzuholen, es blieb für ihn unerreichbar. Allmählich lösten sich seine Konturen im Schneegestöber auf.
»Komm zurück!«, schrie er.
»Was meinst du, was ich hier tue?«, antwortete eine bärbeißige Stimme.
Taramis öffnete die Augen und blickte in Jagurs bärtiges, von Falten übersätes Gesicht. Zwei auf dem Boden liegende Taschenlichtsteine beleuchteten ihn von unten, wodurch er wie ein wütender Gnom aussah. Der Kirrie hatte sich offenbar mithilfe seiner Axt auf allen vieren durch einen Berg von Geröll zu dem Verschütteten vorgearbeitet. »Wie hast du das angestellt?«
Ein heftiges Brennen durchfuhr Taramis, als er sich an den Hinterkopf fasste. Der Schmerz vertrieb endgültig den Traum vom Zioraner, und er erinnerte sich wieder an die Verfolgung Gaals, an die Falle und an den mörderischen Steinschlag. Seltsamerweise lag er zwar zwischen einigen Felsbrocken, irgendetwas hatte jedoch das meiste Geröll von ihm ferngehalten. Die einzelnen Steine waren über ihm zu einer Kuppel verbacken, die ihn vor der tödlichen Lawine geschützt haben musste. Darauf also hatte sein Freund gerade angespielt. »Sieht fast so aus, als hätte sich das Drachenfeuer doch noch meiner erbarmt, wenn auch etwas anders als erhofft.«
»Und das Hemd der Unverwundbarkeit dürfte ein Übriges getan haben, um deine Knochen zu schützen«, mutmaßte Jagur. »Trotzdem kein Grund, auf der faulen Haut zu liegen. Der Hohlraum kann jeden Augenblick einstürzen. Komm sofort raus da.« Er streckte die Hand aus, um seinen Gefährten durch die niedrige Öffnung zu ziehen.
In dem Moment, als Taramis ihm Ez entgegenstreckte, knirschte es über ihm, und eine Staubwolke stob herab.
»Schneller!«, hustete Jagur und packte furchtlos den enthüllten Stab.
»Sei vorsichtig.« Taramis fürchtete, dass eine einzige heftige Bewegung ausreichen würde, um ihn unter den Steinmassen zu begraben. Während er sich mit den Beinen abstieß, zog der Kirrie vorne am Feuerstab. Zoll für Zoll bewegte Taramis sich so auf dem Bauch voran. Als er mit dem Oberkörper im Freien war, sackte das Geröll noch weiter herab.
»Trödel nicht so rum«, knurrte Jagur und riss ihn mit einem gewaltigen Ruck in die große Höhle des Schwebens hinaus. Gemeinsam rollten sie sich auf dem Felsvorsprung von der Öffnung weg. Im nächsten Augenblick spie diese einen Schwall Felsbrocken aus.
»Puh! Das war knapp«, keuchte Taramis. Er setzte sich auf, lehnte sich an die Felswand und klopfte sich den Staub aus den Kleidern. Bei der überstürzten Rettungsaktion waren Jagurs Leuchtsteine in seinem Gürtel hängen geblieben. Er reichte sie seinem Freund. »Jetzt hast du mir schon wieder das Leben gerettet.«
»Mach einen Eintrag in deine Liste«, brummte der Kirrie. »Und beim nächsten Mal wartest du gefälligst auf mich.«
»Ich fürchte, das müssen wir auf später verschieben. Gaal kann noch nicht weit sein. Er wird versuchen, aufs offene Meer zu entkommen.«
»Und wie willst du ihn davon abhalten?«
»Ich habe Siath mithilfe von Allon eine Botschaft geschickt. Inzwischen dürfte Usa mit seinem Mamogh unterhalb der Insel kreuzen, um mich aufzunehmen.«
»Jâr’en ist groß und der Tunnel verschüttet. Wie wollt ihr zwei zueinanderfinden?«
»Ich bin schon als Junge durch die Unterwelt von Jâr’en gestreift. Ein Stückchen tiefer gibt es noch einen Ausgang aus dieser Höhle. Er endet unweit der Stelle, an der Gaal herauskommen wird. Die Sache hat nur einen Haken.«
»Lass mich raten. Der gute Jagur hat keine Kiemen und darf bei der Verfolgungsjagd nicht mitmachen.«
Taramis nickte. »Du sagst es, alte Faltenhaut.«
Der Kirrie zog eine Grimasse. »Mit deinen Schmeicheleien beißt du bei mir auf Granit. Nur beschwer dich nachher nicht, wenn ich dir nicht den Hals retten kann, weil ich mich in den Schönheiten dieser Unterwelt verloren habe.«
Immer schmaler und niedriger wurde der Tunnel. Hatte er sich verirrt? Im kargen Schimmer des einzelnen, kleinen Lichtsteins, den Jagur ihm überlassen hatte, fiel Taramis die Orientierung nicht leicht. Das Wurzelwerk der Heiligen Insel war seit jeher ständigen Veränderungen unterworfen und
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