Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung
ihre Metamorphose vor: Eines Nachts legt sich der Ahnungslose schlafen, erstarrt gleichsam zu Stein, und im Morgengrauen befreit sich das Zioranerkind aus dem Kokon des Wirtskörpers, von dem nur noch eine leere Hülle übrig bleibt.«
Der bärtige Gnom schwieg, was den Tyrannen mit warmer Genugtuung erfüllte. Um sich seine Schadenfreude nicht anmerken zu lassen, richtete er den Blick wieder auf die versprengte Pistazienschale vor Gaals Fußspitze. Sogar der Antisch war auffallend still geworden.
Nachdem der Zwerg den ersten Schrecken überwunden hatte, fragte er: »Und welchen Nutzen hat Dagonis davon?«
»Das ist ein Geheimnis. Ich habe Seiner Hoheit geschworen, es niemandem zu verraten«, antwortete Ybia. Er lächelte wissend dem König zu.
Gaal blieb stumm wie ein Fisch. Seine Miene ließ keine Regung erkennen. Nicht einmal die wurmartigen Barteln zitterten. Die Stille im Raum wurde dem Gastgeber unangenehm. Er überlegte, was er sagen konnte, um seinen hohen Besucher nicht in Verlegenheit zu bringen. Unvermittelt brach dieser sein eisiges Schweigen.
»Wir haben einen Weg gefunden, uns mit den Zioranern zu paaren.«
Im faltigen Gesicht des Zwergs erschien ein Ausdruck des Abscheus. »Die Saat der Finsternis?«
Der Blick des Königs schweifte zum Gastgeber, als wolle er ihn zum Reden ermuntern.
»Vor dem Großen Weltenbruch waren sich die Familien der Menschen weitaus ähnlicher als heute«, erklärte Ybia. »Die Fähigkeit, gemeinsame Nachkommen zu haben, ist uns nicht verloren gegangen. Im Falle von Dagonisiern und Zioranern bedurfte es allerdings eines Zwischenschritts. Gaal höchstselbst war der Erste, der uns den Weg der Erneuerung zeigte.«
»Viele Antische sind Seelenfresser«, murmelte der Zwerg. Endlich schien er begriffen zu haben, worauf alles hinauslief.
Der Tyrann nickte. »Die erlesensten Krieger von Dagonis nehmen mithilfe einiger Sklaven die Gestalt von Zioranern an.«
»Indem sie Eure Leute töten.«
»Ein billiges Opfer zum Nutzen unserer gemeinsamen Sache«, konterte Ybia spitz. Versöhnlicher fügte er hinzu: »Gaals Klugheit ist von unschätzbarem Wert für uns. Gewöhnlich kennt kein Weißblüter seine Eltern, weil sie ihre Pollen dem Wind und Zufall überlassen. Ich dagegen sowie meine klügsten und stärksten Getreuen hauchen sie hier im Palast in einer eigens dafür geweihten Kammer aus. Dank der Genialität Seiner Hoheit werde ich so eine Dynastie von Tyrannen gründen. Tausend Jahre und noch länger werden meine Nachkommen Dagonis treue und verlässliche Verbündete sein.«
Das kleine Faltenmonster reckte unbehaglich den Hals. »Kann ich mich vor diesem … Samen irgendwie schützen?«
»Macht es wie die Antische: Legt Euch ein paar Kiemen zu. Dann spürt Ihr schlimmstenfalls ein leichtes Unwohlsein. Die Pollen setzen sich nur in den Lungen von Lebewesen ab, wobei es völlig unerheblich ist, ob es sich dabei um einen Menschen handelt, um einen Schneehasen, ein Huhn oder einen Zwerg.«
Gaals Begleiter knurrte ein unverständliches Wort.
»Wie meinen?«
»Ich bin kein Zwerg, sondern ein Kirrie. Ich sage auch nicht Flattermann zu Euch.«
Der Dagonisier machte eine jähe Bewegung, um ihn zum Schweigen zu bringen.
»Verzeiht. Mein Fehler«, murmelte Ybia. Entgeistert starrte er dabei auf den Fuß des gestreiften Riesen. Er war gerade mit den Zehenspitzen auf die Pistazienschale getreten.
Und es hatte nicht geknackt.
»Verstehe ich das richtig?«, sinnierte der Kirrie. »Der König züchtet mithilfe Eurer Sklaven ein neues Geschlecht von geflügelten Zioraner-Antischen, damit sie für ihn die Welt erobern?«
»Das solltet Ihr ihn schon selbst fragen«, entgegnete der Tyrann gereizt. Er musste sich zwingen, den Blick vom Fuß des Dagonisiers loszureißen. Wie hatte er völlig geräuschlos die Schale zertreten können?
»So ist es«, sagte Gaal. »Wir benötigen ihre Pollen für die Saat der Finsternis.« Seine Miene war wie versteinert, während er unverwandt Ybia anglotzte.
»Habt Ihr dem König einen geeigneten Ort für sein Sklavenheer vorgeschlagen?«, erkundigte sich der Zwerg. »Zioraner sind Lungenatmer. Auf Dagonis müssten sie ersticken. Außerdem lieben sie die Kälte.«
»Es ist ein verbreiteter Irrtum, dass wir uns in wärmerem Klima nicht wohlfühlen«, antwortete der Tyrann abwesend. Er blickte kurz zu Boden und schreckte einen Schritt zurück. Gaal hatte erneut seinen Fuß verschoben, und plötzlich war die Pistazienschale wieder da. Ganz unversehrt.
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