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Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung

Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung

Titel: Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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ausgehändigt hatte. Als Taramis an dem Weißblüter vorbeiging, fiel ihm dessen bläulich fahle Haut auf. Sie war so dünn, dass die blassen Adern wie Kreidestriche hindurchschimmerten. Unwillkürlich musste er an den Traum denken, den er in dem steinernen Kokon tief unter der Insel Jâr’en gehabt hatte.
    Kaum war die kristallene Pforte hinter ihnen ins Schloss gefallen, tauchten im Schneegestöber etwa ein Dutzend geflügelte Palastwächter auf. Sie näherten sich ihnen im Halbkreis mit gesenkten Lanzen.
    Jagur seufzte. »Du hättest auf mich hören sollen.«
    »Was hat das zu bedeuten?«, protestierte Taramis.
    »Wir mögen hier keine Spione«, antwortete der Wortführer und wich rückwärts in die Reihe seiner Kameraden zurück. Seine Gestalt verblasste zunehmend in dem mit unverminderter Heftigkeit tobenden Schneegestöber.
    »Wir sind Gesandte des Chohén. Wie könnt Ihr es wagen, uns Spitzel zu nennen?«
    »Es gab Hinweise«, hallte die Antwort durch das Heulen des Windes.
    »Was soll das heißen? Wer …?«
    »Nehmt sie fest!«, rief der Wächter seinen Kameraden zu. »Wenn sie sich wehren, dann tötet sie.«
    »Jagur?«, sagte Taramis nur. Die beiden hatten im Voraus besprochen, wie sie im Falle von Komplikationen Stärke zeigen konnten, ohne sich gleich erbitterte Feinde zu machen.
    Der Blick des Blenders schweifte nur kurz in die Runde der Lanzenträger. Das genügte, um sie mit Blindheit zu schlagen.
    Die Zioraner brüllten wie am Spieß und wandten sich orientierungslos mal hier-, dann wieder dorthin. Mancher ließ einfach alles fallen und verschwand schreiend im Schneegestöber. Einige wirbelten panisch ihre Lanzen wie Windmühlenflügel herum und holten damit andere von den Füßen oder schlugen sie bewusstlos. Wie durch ein Wunder wurde niemand ernstlich verletzt.
    Taramis bahnte sich einen Weg zu ihren im Schnee liegenden Waffen. Geschickt wich er den ziellos geführten Hieben der Geblendeten aus, parierte eine unfreiwillig gefährliche Attacke mit Ez und entriss einem weiteren Zioraner den Spieß. Mit Waffengurt und Axt kehrte er zu Jagur zurück. »Das hier könnte sich noch länger hinziehen. Ich schlage vor, wir besuchen in der Zwischenzeit den Tyrannen.«
    Man hätte meinen können, die Natur selbst habe den Herrscherpalast von Zior aus Schnee erbaut. Seine weichen Rundungen und schrägen Wände sahen aus wie hingeweht, wie ein Ensemble aus großen Flockenhaufen, das der Wind jederzeit umgestalten konnte. Tatsächlich war kaum zu erkennen, wo die echten Schneeverwehungen aufhörten und wo das massive Mauerwerk begann.
    Taramis und Jagur suchten nach dem größten Haufen, in der Hoffnung, dort auch den Tyrannen anzutreffen. Wegen der beklagenswerten Sichtverhältnisse taten sie sich damit leidlich schwer. Wenigstens hatte der Sturm mittlerweile die Stimmen der geblendeten Torwächter verweht, weswegen vorerst nicht mit weiteren Störungen seitens der Palastwache zu rechnen war.
    Auf dem Rücken von Allon durchquerten die beiden einen Garten voller kristallklarer Eisfiguren von furchterregenden Ungeheuern. Am anderen Ende stießen sie auf ein kolossales, hell erleuchtetes Gebäude, das am ehesten ihren Erwartungen von einer königlichen Unterkunft entsprach. Taramis ließ sein Ippo neben einem elefantengroßen Eisdrachen zurück und lief mit Jagur auf den erstbesten Eingang zu. Die hölzerne Tür war wie ein unten platt geschlagenes Ei geformt. Ehe sie diese erreichten, wurde sie auch schon aufgerissen, und zwei Zioraner erschienen.
    »Wer seid Ihr? Was wollt Ihr hier? Wie seid Ihr in den Palast gekommen?«, blaffte der links stehende Flügelmensch. Wie sein Gefährte hielt er ein gezücktes Schwert in der Hand.
    Nach dem Erlebnis am Haupttor ersparte sich Taramis die Mühe, wortreich auf eine friedliche Völkerverständigung hinzuwirken, und murmelte nur: »Jagur?«
    Der Kirrie blendete die Wachen und schlug den wissbegierigen Zioraner mit dem Stiel seiner Waffe nieder, um ihn am Schreien zu hindern. Danach riss er den schweigsameren der beiden zu Boden und sagte höflich: »Einen recht schönen Abend, Kamerad. Wo bitte finden wir den Tyrannen?«
    »Von mir erfahrt Ihr nichts«, antwortete der zitternde Gardist.
    Jagur setzte ihm die Axtklinge an den Hals. »Was du da spürst, ist meine Lehi. Ich erkläre dir das, Freund, um die guten Beziehungen unserer Völker nicht zu belasten. Solltest du schreien, wird Lehi zubeißen. Wenn du nur einmal kurz zuckst, kannst du deinen Kopf im Garten

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