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Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung

Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung

Titel: Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Darüber war Sagur ziemlich unleidlich geworden und drohte seit einigen Tagen immer öfter mit Schlägen und Schlimmerem. Seine furchterregendste Waffe war Toba, eine wandelnde Fleischmasse mit strengem Geruch, die einen Normalwüchsigen nur antippen musste, um ihn ins Reich der Träume zu schicken. Von den Verhören abgesehen konnte sich Ari über die Behandlung nicht beklagen.
    Da er von Navigation wenig verstand, war das Ziel der Reise für ihn lange ein Geheimnis geblieben. Er hatte lediglich bemerkt, dass sie bedrohlich nahe an der dunklen Wolke vorbei durch die Zentralregion geschwallt waren. An diesem Vormittag hatte er endlich Klarheit erlangt. Vor der Drachenkröte war eine ausgedehnte Inselgruppe aufgetaucht. Die Schollen schimmerten wie grüne Smaragde im Morgenlicht. Die meisten waren von Gras bewachsen. Auf manchen sah man große Herden, tiefblaue Seen und vereinzelte Wälder.
    Das musste Kesalonien sein, die Heimat der Steppenreiter.
    Gegen Mittag war der Schwaller auf der größten Insel des Reiches am Rande eines Lagers gelandet. Man hatte Ari einen schwarzen Sack übergestreift, sodass er nichts sehen konnte. Oder damit er nicht erkannt wurde? Toba schleppte ihn in eine Jurte, ließ ihn ohne Vorwarnung fallen, zog ihm wortlos den Beutel vom Kopf und stapfte davon.
    Neugierig sah sich Ari um. Wie ein armseliger Kerker kam ihm seine neue Unterkunft nicht gerade vor. Das runde, aus Filzdecken bestehende Zelt war mit mehreren Lagen schöner Teppiche ausgestattet. An einer Stelle entdeckte er einen Stapel aus bunt gefärbten Wolldecken, die wohl für das Nachtlager gedacht waren. Ein Geräusch vom Eingang ließ ihn herumfahren.
    »Ich bringe dir etwas zu essen«, sagte eine helle Stimme. Sie gehörte einem verschleierten Mädchen, das ein Tablett in den Händen hielt. Es trug ein knöchellanges Gewand aus violetter Seide und war kaum größer als Ari.
    Er richtete sich auf seine Knie auf. »Kannst du mir meine Fesseln abnehmen?«
    »Nein. Das darf ich nicht. Aber wenn du möchtest, füttere ich dich.« Die Kesalonierin sprach die Mitlaute auf eine niedliche, seltsam weiche Art aus, so als habe sie ein Karamell im Mund. Sie kam näher, kniete sich neben ihn, stellte das Tablett auf den Boden und verbeugte sich so tief, dass ihre Stirn den Teppich berührte.
    »Wie heißt du?«, fragte Ari. Fasziniert betrachtete er die schwarzen Augen des Mädchens. Sie sahen aus wie große Oliven, standen leicht schräg und hatten lange Wimpern. Der Schleier darunter war oben mit einer goldenen Stickerei eingesäumt. Bei jedem Wort bewegte er sich sacht, ohne sein Geheimnis zu enthüllen.
    »Mein Name ist Yula. Und deiner?«
    War ihre Freundlichkeit echt? Oder hatte Sagur sie geschickt, um ihn auszuhorchen? »Nenn mich Loki.«
    »Das klingt lustig. Ist das dein richtiger Name?«
    Um sie nicht zu belügen, deutete er auf das Tablett. »Was hast du mir da mitgebracht?«
    »Fladenbrot, getrocknete Früchte und Stutenmilch.« Yula nahm etwas in die Hand, das wie ein kleiner roter Stern aussah, und streckte es Ari entgegen. »Hier, iss.«
    »Was ist das?«
    »Probiere es, Loki. Ich werde dich nicht vergiften.«
    Die bestimmte Art, mit der sie das sagte, imponierte ihm. Er öffnete den Mund. Die Frucht schmeckte angenehm süß mit einer leicht herben Note. »Das ist gut. Hast du schon viele Geiseln gefüttert?«
    Ihre geheimnisvollen Augen sahen ihn fragend an. »Warum willst du das wissen?«
    »Du bist so anders.«
    »Anders als wer?«
    »Als Sagur und seine Männer. Vor allem anders als Toba!«
    Sie lachte glockenhell. »Es ist nicht schwer, anders als dieser Grobian zu sein. Ich bin Bahadurs jüngste Tochter.«
    »Der Khan ist dein Vater?« Ari schluckte.
    »Ja«, antwortete sie schnippisch und stopfte ihm ein trockenes Stück Brot in den Mund.
    »Warum bist du böse auf mich?«
    »Weil alle Jungen so reagieren, wenn sie erfahren, wer mein Vater ist. So werde ich nie einen Mann finden, den ich von Herzen liebe.«
    Er würgte den Bissen herunter. »Du kannst nicht viel älter sein als ich.«
    »Ich bin vierzehn. Bei uns werden Mädchen manchmal schon mit zwölf verheiratet.«
    »So alt, wie ich bin. In ein paar Wochen.«
    »Den Knaben gibt man ein bisschen mehr Zeit. Sie heiraten frühestens in meinem Alter, nachdem ihnen die Stammeszeichen mit dem heiligen Tätowierhammer und der geweihten Nadel ins Gesicht gestochen worden sind.«
    Ari konnte sich die Pein des Rituals lebhaft vorstellen und verzog den Mund. »Steht dir das

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