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Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung

Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung

Titel: Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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bekannt, dass er seine Seelenfresser überall einschleuste. Ich werde den Verräter finden und töten. Der Nomadenführer setzte ein unergründliches Lächeln auf, von dem er hoffte, dass es sein Gegenüber verunsicherte. Sich zur Erreichung gemeinsamer Ziele zu verbünden bedeutete noch lange nicht, einander zu trauen. Er würde sein giftiges kleines Faustpfand nicht leichtfertig hergeben. Sollte er Taramis’ Sohn an die Dagonisier ausliefern, dann für einen hohen Preis.
    »Sehe ich da ein Zögern, alter Freund?«, fragte Gaal.
    »Höchstens ein Abwägen«, entgegnete der Khan. »Ihr wollt die Strategie ändern. Das will gut überlegt sein.«
    Der König von Dagonis führte den Weinbecher an die Lippen. Die beiden saßen in einer großen, innen wie außen von Drachenmännern und geflügelten Feuermenschen bewachten, mit kostbaren Teppichen ausgelegten Jurte. Das aus leichten Rohrrahmen und Filzbahnen zusammengesetzte Zelt stand inmitten eines riesigen Heerlagers, eine halbe Tagesreise von der Hauptinsel entfernt. Von draußen drangen die typischen Geräusche herein: Schmiede, die an Waffen arbeiteten; Krieger, die in Übungskämpfen ihre Kräfte maßen; das raue Lachen derjenigen, die sich mit groben Späßen die Wartezeit vertrieben; und von überall die Stimmen der Tiere, ohne die keine Armee der Welt in die Schlacht zog. Dem Geruch ihres Dungs konnte man nirgends entkommen.
    Um Streit zwischen den Drachenleuten und den lungenatmenden Antischen zu vermeiden, hatte Bahadur eine Trennung nach Rassen befohlen. Kleinere Abschnitte im Lager waren den Angehörigen anderer Volksgruppen zugewiesen worden. Täglich stießen aus der Zentralregion weitere Krieger hinzu. Dagonis hatte alles mobilisiert, was in seiner Einflusssphäre lag. Der Zustrom schien nicht abzureißen. Das würde wohl auch die nächsten ein oder zwei Wochen noch so bleiben. Bis dahin mussten sich die Feldherren über die Eröffnung der Schlacht einig geworden sein.
    »Ich plane einen Überfall auf Jâr’en«, sagte Gaal freiheraus. Sein Auge blickte entschlossen. »Seid Ihr bereit, mich zu unterstützen?«
    »Warum immer wieder die Heilige Insel? Ihr seid zwei Mal von dort vertrieben worden. Zu meiner Schande muss ich eingestehen, dass es mir vor vielen Jahren nicht besser erging.«
    »Diesmal werden wir es richtig machen. Wir nehmen Jâr’en ein, und ich benutze den Reif der Erkenntnis, um endgültig alle unsere Feinde zu töten.«
    »Das ist ein kühner Plan. Wir könnten einen schnellen Machtwechsel herbeiführen.« Und die Vorherrschaft Kesaloniens in diesem Teil der Welt für die nachfolgenden Generationen festigen. Bahadur wechselte einen flüchtigen Blick mit seinem Sohn, dem er nach Sakims Tod das Kommando über die Leibwache übertragen hatte. Hatte er das Zeug zu einem Großkhan? Um sich seine Überlegungen nicht anmerken zu lassen, richtete Bahadur seine Aufmerksamkeit auf eine der Silberschalen, die vor ihm auf dem Teppich standen. Mit Sorgfalt wählte er eine Dattel aus. Während er sie nachdenklich betrachtete, fügte er hinzu: »Bei uns sagt man jedoch: ›Steter Tropfen höhlt den Stein.‹ Warum halten wir nicht an der bisherigen Taktik fest?«
    »Ihr meint, der dunklen Wolke zu folgen und die geräumten Inseln zu besetzen? Das war gut, solange die Gaojünger sich vor ihr gefürchtet haben. Heute erhielt ich Nachricht von meinen Geistboten, dass der Hohepriester eine neue Empfehlung verbreiten lässt. Es scheint, als hätte der Feind einen Weg gefunden, sich vor dem Samen der Dunkelheit zu schützen. Ich vermute, Taramis steckt dahinter.«
    »Vielleicht sollten wir uns zuerst um ihn kümmern, ehe wir ein so riskantes Unternehmen wie den Überfall auf Jâr’en in Angriff nehmen.«
    Gaals Barteln zitterten, ein untrügliches Zeichen seiner Erregung. »Was denkt Ihr, was ich tue? Datteln in mich hineinstopfen? Seit dem Vorfall auf Toss ist dieser Lurch wie von Belimáh verschluckt. Aber meine Spione finden ihn, und dann bekommt er die Glut meines Zorns zu spüren.« Er rang keuchend nach Atem. Hektisch griff er in sein Wams und zog eine goldziselierte Schnabeldose heraus. Bahadur kannte dieses Ritual bereits. Ohne sein Neschamah würde der Antisch binnen Kurzem an der Luft ersticken. Gaal streute sich zwei kleine Häuflein des türkisfarbenen Pulvers auf den rechten Handrücken und schnupfte sie in seine Nasenlöcher.
    Der Khan hatte den Appetit auf Datteln verloren und warf die Frucht zielsicher in einen nahestehenden Spucknapf.

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