Die Zeugin: Thriller (German Edition)
wie die Hölle.
Addie schluchzte laut und heftig. Sie war unversehrt. Sie hatte einen Schock erlitten, doch ansonsten war sie wohlauf.
Boone lag völlig verkrümmt da und blutete stark an Hals und Brust. Sein ganzes Hemd war rot durchtränkt. Rory schmiegte Addies Kopf an ihre Schulter, damit sie es nicht sah.
Dann bemerkte sie die Beretta, die sie noch immer in der rechten Hand hatte, und schaute sich um. Riss war ver schwunden.
Nachdem er Boone gefilzt hatte, kletterte Seth in den Laster, stellte den Motor ab und stieg mit der Schrotflinte aus. Bei jedem Atemzug und jeder Bewegung verzerrte sich sein Gesicht vor Schmerz.
Ambers Jammern wurde lauter. Wankend näherte sie sich ihrem Sohn. »Boone … Was hast du mit meinem Jungen gemacht?«
Seth deutete auf sie. »Zurückbleiben.«
»Du hast ihn angeschossen.«
Seth zog eine Dienstmarke heraus und hielt sie Amber unter die Nase. »Bundespolizei. Dein Sohn ist verhaftet. Zurück.«
Mühsam brachte Seth unter seinem Hemd Handschellen zum Vorschein. Er wälzte den blicklos starrenden Boone auf den Bauch und fesselte ihn.
Prompt begann Boone zu husten und zu würgen, und Seth rollte ihn wieder auf den Rücken. Boone rührte sich nicht – keinen Muskel, gar nichts. Bis auf die Augen. Lodernd zuckten sie hin und her, als wollte er fliehen oder angreifen. Schließlich fiel sein Blick auf Seth. »Arschloch. Du … Ich kann nicht …« Erneut würgte er und versuchte auszuspucken. »Ich scheiß auf dich.«
Dann sah er Rory. »Du glaubst, du hast alles. Das ganze Geld. Einen Dreck hast du. Du wirst immer eine Loserin bleiben.«
Rory hatte das Gefühl, auseinanderzuspringen wie eine Rolle Stacheldraht. Ehe sie es merkte, stand sie über ihm. In ihrer Hand die Beretta, die auf Boones Brust zielte.
»Damit kommst du nicht durch. Riss …« Er hustete.
Die Waffe in Rorys Hand schien zu schwanken und über ihm das Kreuzzeichen zu machen. Oder ein Fadenkreuz.
»Dein eigenes Kind«, zischte Rory. »Du hast versucht, sie umzubringen .«
Seth zog ihre Hand zur Seite und schaute ihr in die Augen. Sie erkannte ihn kaum, so stark brannte der Zorn in ihr.
Der Überfall auf das Gericht. Judge Wieland. Der Gerechtigkeitsverfechter. Und jetzt der versuchte Mord an einem kleinen Mädchen. An allem war Boone schuld.
»Sein Genick ist gebrochen, oder?«
»Er kann nicht mehr kämpfen«, antwortete Seth.
»Natürlich kann er das.«
»Loserin«, zischte Boone. »Du hast keinen Mumm, Rory. Riss ist dir entwischt.« Sein Atem stockte. »Schlampe.« Für Seth fügte er hinzu: »Wichser. Am Ende haben wir die Nase vorn.« Er wollte ausspucken, doch der Sabber blieb ihm an den Lippen kleben.
»Soll er ruhig kämpfen, ich lasse ihn nicht gewinnen.« Ohne den Blick von Boone abzuwenden, reichte Rory Seth die Waffe.
Eine Bö strich über den Boden und schüttelte die Bäume. Die Straße war leer, und sie hörte keine sich nähernden Fahrzeuge. Allerdings hatte das nicht viel zu bedeuten.
»Mirkovic kann jeden Moment mit seinen Gorillas anrücken.«
Seth nutzte ihre Worte als Gelegenheit zum Themenwech sel und zur Auflösung der Spannung, die sich zwischen ihnen aufgebaut hatte. Er zückte sein Handy und drückte eine Schnellwahltaste.
Er wirkte ziemlich mitgenommen. Dennoch hielt er die Glock in der Hand, jederzeit bereit, auf neue Gegner zu feuern. Notfalls auch auf Wolken oder den Stoff des Universums.
Er sprach ins Telefon. »Hier Colder. Brauche dringend Verstärkung.«
Umweht vom Wind, genoss Rory seinen klaren, Respekt einflößenden Ton und die Selbstsicherheit, die er trotz des leichten Keuchens ausstrahlte. Das Pulsieren ihrer Haut drang bis in ihre Knochen vor. Sie konnte sich nicht abwenden. An der Brust spürte sie den Herzschlag der kleinen Addie, die sich fest an sie gedrückt hatte.
Seth beendete das Gespräch. »Die Sheriffs und das ATF sind unterwegs. Der Krankenwagen auch.«
Rory starrte ihn an. »Was bist du?«
»Zivilfahnder der Bundesstaatsanwaltschaft.« Seine Augen schimmerten ernst und unstet zugleich. »Ich bin Bundespolizist.« Mit nach vorn geneigten Schultern stand er da und atmete mühsam.
»Gebrochene Rippen von Boones Schuss?«, fragte sie schließlich.
Er nickte. Doch anscheinend wagte er nicht, die Hand nach ihr auszustrecken oder auf sie zuzutreten. »Die Sanitäter sollen dich untersuchen. Addie auch.«
Die Kleine schmiegte sich an Rory, die Hand in ihre Bluse gekrallt. Ein Stück abseits hatte Amber die Arme um sich geschlungen und
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