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Die Zitadelle des Autarchen

Die Zitadelle des Autarchen

Titel: Die Zitadelle des Autarchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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vollenden können. Die Schrift war eckig und kleiner, als ich vermutet hätte, obwohl er vielleicht nur deshalb so eng geschrieben hatte, um auf dem kleinen Blatt, seinem anscheinend letzten, möglichst viel unterzubringen.
    Geliebteste, wir sind nach harten Märschen hundert Meilen nördlich der Stelle, von der ich Dir zuletzt geschrieben. Wir haben genug zu essen und frieren nicht bei Tage, wenngleich wir’s nachts manchmal kalt haben. Makar, von dem ich Dir erzählte, wurde krank und durfte zurückbleiben. Recht viele behaupteten daraufhin, krank zu sein, und mußten uns ohne Waffen, mit doppelten Lasten und guter Bewachung vorausmarschieren. In der ganzen Zeit fehlte von den Asciern jede Spur. Sie seien, sagt unser Hauptmann, noch einige Tagesmärsche voraus. Die Aufwiegler töteten in drei Nächten hintereinander Wachen von uns, bis wir drei Mann auf jeden Posten setzten und Außenpatrouillen aufstellten. Ich wurde in der ersten Nacht für eine dieser Patrouillen eingeteilt, was mir sehr zuwider war, fürchtete ich doch, einer meiner Kameraden würde mich im Dunkeln niederstechen. Über Wurzeln stolpernd, gingen wir unsere Kunde und lauschten den Gesängen am Feuer –
     
    »Unser Lager in der morgigen Nacht
    Wird sich als hart und steinig erweisen;
    So trinket heut’ abend ohne Bedacht
    Und laßt den Freundschaftsbecher kreisen.
    Freund, ich hoff’, daß jeder Schuß der Meute
    Fort und in die Irre gehe,
    Und ich wünsch’ dir gute Beute,
    Und daß ich an deiner Seite stehe.
    Laßt den Freundschaftsbecher kreisen,
    Denn unser Lager wird sich als hart erweisen.«
     
    Natürlich sahen wir keinen. Die Aufwiegler nennen sich Vodalarii nach ihrem Führer und sind angeblich bewährte Krieger. Und gut bezahlte obendrein, werden sie doch von den Asciern unterstützt …

 
Der lebendige Soldat
     
    Ich legte den halb gelesenen Brief beiseite und betrachtete den Mann, der ihn geschrieben hatte. Bei ihm hatte der Tod nicht fehlgeschossen; nun starrte er mit glanzlosen Augen, wovon das eine fast zugedrückt, das andere weit aufgerissen war, zur Sonne empor.
    Schon längst hätte mir die Klaue einfallen sollen, war mir aber nicht in den Sinn gekommen. Vielleicht hatte ich auch den Gedanken daran unterdrückt in meiner Gier, dem Toten die Rationen aus dem Ranzen zu stehlen, ohne zu überlegen, daß er sein Essen bestimmt mit seinem Retter, der ihn von den Toten erweckt hätte, teilen würde. Als nun von Vodalus und seinen Gefolgsleuten (die mir gewiß hülfen, wenn ich sie nur finden könnte) die Rede war, fiel sie mir mit einemmal ein, und ich zog sie hervor. Sie schien in der Sommersonne ohne ihren Saphirschrein heller denn je zu strahlen. Ich berührte ihn damit und steckte sie ihm, von einer unerklärlichen Eingebung geleitet, in den Mund.
    Als auch dies nichts bewirkte, nahm ich sie zwischen Daumen und Zeigefinger und drückte ihre Spitze in die weiche Haut seiner Stirn. Zwar atmete und regte er sich nicht, aber Blutstropfen, frisch wie das Blut eines Lebenden, rannen zäh hervor und röteten meine Finger.
    Ich zog die Hand zurück, wischte das Blut mit Waldlaub ab und hätte mich wieder dem Brief zugewandt, wäre nicht aus einiger Entfernung das Knacken eines brechenden Zweiges an mein Ohr gedrungen, was ich nun zu hören glaubte. Zunächst war ich mir unschlüssig, ob ich mich verbergen, fliehen oder kämpfen sollte; aber zum Verstecken hätte ich kaum mehr Gelegenheit gehabt, und vom Davonrennen hatte ich die Nase voll. Also ergriff ich das Krummschwert des Toten, hüllte mich in meinen Mantel und wartete.
    Es kam niemand – zumindest niemand Sichtbares für mich. Der Wind ächzte in den Baumkronen. Die Fliege war offenbar verschwunden. Vielleicht war’s nur ein Hirsch gewesen, der hier im schattigen Hochwald wechselte. Ich war so lange ohne jede jagdtaugliche Waffe gewandert, daß ich mir dieser Möglichkeit gar nicht mehr bewußt war. Während ich nun das Krummschwert betrachtete, wünschte ich mir unwillkürlich, es wäre ein Bogen.
    Etwas regte sich hinter mir, und ich wandte mich rasch um.
    Es war der Soldat. Er zitterte am ganzen Leib – hätte ich ihn nicht tot gesehen, hätte ich geglaubt, er liege im Sterben. Seine Hände zuckten, und ein Röcheln kam aus seiner Kehle. Ich beugte mich zu ihm und befühlte sein Gesicht – es war kalt wie zuvor, und ich hatte plötzlich das Verlangen, ein Feuer zu machen.
    Ich hatte kein Feuerzeug in seinem Tornister gefunden, wußte aber, daß jeder Soldat so

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