Die Zitadelle des Autarchen
finden.« Er nahm meine Hand und ließ sich von mir hochziehen, aber er konnte kaum gerade stehen. Seine Augen, die zuerst so ruhig gewesen waren, blickten immer gehetzter, je wacher sie wurden. Ich hatte das Gefühl, er fürchte, daß die Bäume über uns herfielen wie ein Rudel Löwen, dennoch zog er weder seinen Dolch noch verlangte er das Krummschwert zurück.
Nach drei oder vier Schritten taumelte er und wäre beinahe gestürzt.
Ich stützte ihn mit dem Arm, und gemeinsam machten wir uns auf den Weg durch den Wald zur Straße.
Durch den Staub
Ich wußte nicht, ob wir nord- oder südwärts ziehen sollten. Irgendwo im Norden lag das ascische Heer, und wenn wir der Front zu nahe kämen, würden wir vielleicht – ruckzuck – in Feindeshand fallen. Doch je weiter südwärts wir gingen, desto kleiner wäre die Möglichkeit, daß wir jemand fänden, der uns helfen könnte, und desto größer wäre die Gefahr, daß wir als Deserteure eingefangen würden. Schließlich wandte ich mich nordwärts – wohl hauptsächlich aus Gewohnheit; ob das gut gewesen ist, darüber bin ich mir noch heute nicht sicher.
Der Tau war auf der Straße bereits getrocknet, und ihre staubige Oberfläche wies keine Fußspuren auf. Zu beiden Seiten war etwa drei Schritt breit der Pflanzenbewuchs einheitlich grau. Bald ließen wir den Wald hinter uns. Die Straße wand sich über einen Hügel in ein steiniges Tal hinab, wo eine Brücke über einen Bach führte.
Wir gingen von der Straße zum Ufer, um zu trinken und uns das Gesicht zu waschen. Ich hatte mich nicht mehr rasiert, seitdem ich dem See Diuturna den Rücken gekehrt hatte, also fragte ich, obgleich ich nichts bemerkt hatte, als ich die Zunderbüchse aus seiner Tasche holte, ob er Rasierzeug bei sich habe.
Ich erwähne diese Bagatelle hier, weil es der erste Satz gewesen ist, den er offensichtlich verstanden hat. Er nickte, griff dann unter die Halsberge und zog eines jener winzigen, beim Landvolk gebräuchlichen Rasiermesser hervor, die ihre Schmiede aus alten Hufeisenhälften schleifen. Ich schärfte es mit dem zerbrochenen Wetzstein, den ich noch bei mir trug, und zog es am Schaft meines Lederstiefels ab. Dann fragte ich, ob er Seife habe. Wenn ja, mußte er mich nicht verstanden haben, und nach einer Weile setzte er sich auf einen Stein, von wo aus er ins Wasser blicken konnte, was mich sehr an Dorcas erinnerte. Ich brannte darauf, von ihm Näheres zu erfahren über die Gefilde des Todes, wollte alles wissen über jene Zeit, die vielleicht nur für uns dunkel ist. Statt dessen wusch ich mir das Gesicht im kalten Wasser und rasierte Backen und Kinn, so gut es ging. Als ich das Rasiermesser wieder ins Futteral steckte und es ihm zurückgeben wollte, wußte er damit offenbar nichts anzufangen, so daß ich es behielt.
Fast den ganzen Tag gingen wir weiter. Mehrmals wurden wir aufgehalten und befragt; noch öfter hielten wir andere auf und befragten sie. Allmählich reimte ich mir eine wohldurchdachte Lüge zusammen: ich sei der Liktor eines Zivilrichters im Gefolge des Autarchen; wir seien unterwegs auf diesen Soldaten gestoßen, und ich hätte im Auftrag meines Herrn dafür zu sorgen, daß er in gute Pflege komme; er könne nicht sprechen, weshalb ich nicht wisse, zu welcher Einheit er gehöre. Letzteres stimmte immerhin.
Wir stießen auf andere Straßen und folgten ihnen zuweilen. Zweimal gelangten wir in große Lager, wo Zehntausende Soldaten in Zeltstädten lebten. In jeder erklärten mir jene, die die Kranken pflegten, daß sie die Wunden meines Gefährten verbänden, würde er bluten; in diesem Fall aber könnten sie ihn nicht in Obhut nehmen. Im zweiten Lager erkundigte ich mich gar nicht mehr nach den Pelerinen, sondern ließ mir nur sagen, wo wir Unterkunft fänden. Es war schon fast dunkel.
»Drei Meilen von hier gibt’s ein Lazarett, wo man euch vielleicht aufnimmt.« Mein Informant blickte von einem zum anderen und bedauerte mich offenbar genauso sehr wie den stummen, verdutzten Soldaten. »Geht westwärts und nordwärts, bis ihr rechts eine Straße seht, die durch zwei große Bäume geht! Sie ist ungefähr halb so breit wie diejenige, von der ihr kommt. Dieser folgt. Seid ihr bewaffnet?«
Ich deutete auf mich und schüttelte den Kopf. Das Krummschwert hatte ich dem Soldaten wieder in die Scheide gesteckt. »Ich mußte mein Schwert bei den Dienern meines Herrn lassen. Das Schwert und der Mann gleichzeitig – das wär’ mir zuviel.«
»Dann müßt ihr euch
Weitere Kostenlose Bücher