Die Zitadelle des Autarchen
Augenblicken war ich verzweifelt gewesen, mich unter diesen hageren Soldaten zu finden. Nun hätte ich alles für eine Garantie gegeben, daß ich bei ihnen bleiben würde.
Der Autarch zu meiner Linken hing schlaff zwischen den beiden Evzonen, die ihre langläufigen Feuerrohre über den Rücken geschlungen hatten. Während ich ihn betrachtete, kippte sein Kopf zur Seite, und ich wußte, er war bewußtlos oder tot. »Herrschaften« hatten die Katzen-Frauen ihn genannt, und es bedurfte keines scharfen Verstandes, diese Anrede damit in Verbindung zu bringen, was er mir im abgestürzten Flieger gesagt hatte. Genau wie Thecla und Severian in mir vereint waren, so waren auch in ihn gewiß mehrere Persönlichkeiten eingeflossen. Seit jener Nacht unsrer ersten Begegnung, als Roche mich ins Azurne Haus (dessen merkwürdigen Namen ich allmählich zu verstehen begann) gebracht hatte, hatte ich die komplizierte Vielgestaltigkeit seines Denkens erahnt, wie man selbst bei dürftigem Licht gleichsam die Kompliziertheit eines Mosaiks erahnt, dessen unzählige winzige Steinchen zusammen das erleuchtete Gesicht und die strahlenden Augen der Neuen Sonne bilden.
Er hatte gesagt, ich sei dazu bestimmt, seine Nachfolge anzutreten, aber für wie lange? Obwohl ich gefangen war und so arg versehrt und erschöpft, daß eine Wache Rast im rauhen Gras mir wie das Paradies vorgekommen wäre, war ich, sei’s auch absurd, ein Mann voller Ehrgeiz. Er hatte gesagt, ich müsse sein Fleisch essen und die Droge schlucken, solange er noch lebte; und aus Liebe zu ihm hätte ich das meine dem Zugriff meiner Entführer entrissen, hätte ich die Kraft dazu gehabt, um meinen Anspruch auf Wohlleben, Pomp und Macht geltend zu machen. Ich war nun eine Vereinigung aus Severian und Thecla, und vielleicht hatte sich der zerlumpte Folterlehrling unbewußt mehr nach diesen Dingen gesehnt als die junge Beglückte, die bei Hofe gefangengehalten wurde. Ich wußte nun, was die arme Cyriaca im Garten des Archons wohl gefühlt hatte; obgleich es ihr, hätt’ sie ganz gefühlt, was ich nun fühlte, das Herz gebrochen hätte.
Im nächsten Augenblick wurde ich immer abgeneigter. Irgendwie schätzte ich die Intimsphäre, in die nicht einmal Dorcas vorgestoßen war. In den tiefsten Gehirnwindungen, in den Verbindungen der Moleküle waren Thecla und ich vereint. Wenn andere – ein Dutzend oder tausend vielleicht, denn mit der Aufnahme der Persönlichkeit des Autarchen nähme ich auch alle auf, die er sich einverleibt hätte – wenn andere dorthin vordringen würden, so wäre das, als drängten die Massen eines Basars in ein Boudoir. Ich klammerte meine Herzensfreundin an mich und spürte, wie auch ich umklammert wurde. Ich spürte, wie ich umklammert wurde, und klammerte meine Herzensfreundin an mich.
Der Mond wurde düster wie eine abgeblendete Laterne, deren Fenster man abdunkelt, bis nur mehr ein Lichtpunkt bleibt und schließlich nichts mehr. Die ascischen Evzonen feuerten aus ihren Büchsen bläulichrote und violette Garben, die hoch in den Lüften auseinanderliefen und schließlich wie bunte Nadeln in die Wolken piekten, aber ohne Wirkung blieben. Mit einemmal wehte ein heißer Wind; Schwärze senkte sich blitzartig über uns. Dann war der Autarch verschwunden, und etwas Gewaltiges stürzte auf mich herab. Ich warf mich auf den Boden.
Ob ich je bis zum Boden gekommen bin, das weiß ich nicht. Im nächsten Augenblick schien ich durch die Luft zu wirbeln, dann stieg ich höher über die Welt in dunkler Nacht. Eine sehnige Hand, hart wie Stahl und dreimal so groß als die eines Menschen, hielt mich an den Hüften umschlungen.
Wir sanken, wendeten, kamen ins Schwanken, glitten seitwärts in ein Luftloch, stießen auf eine aufsteigende Strömung und ließen uns emportragen, bis in der beißenden Kälte meine Haut starr wurde. Als ich den Hals streckte und nach oben spähte, sah ich die weißen gespenstischen Wangen der Kreatur, die mich trug. Es war das Alptraumgebilde, das ich Monate zuvor geschaut hatte, als ich bei Baldanders im Bett schlief, obgleich ich in jenem Traum auf dem Vogelrücken gesessen hatte. Warum dieser Unterschied zwischen Traum und Wirklichkeit sein sollte, kann ich nicht sagen. Ich schrie (was, das weiß ich nicht), und das Geschöpf über mir öffnete seinen krummen Schnabel und zischte.
Von oben drang auch eine Frauenstimme an mein Ohr. »Nun hab’ ich mich für die Mine revanchiert – du lebst noch.«
Über dem Dschungel
Wir
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