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Die Zitadelle des Autarchen

Die Zitadelle des Autarchen

Titel: Die Zitadelle des Autarchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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landeten bei Sternenschein. Es war wie ein Erwachen; als hätte ich nicht den Himmel, sondern das Land des Alptraums hinter mir gelassen. Wie ein fallendes Blatt sank die gewaltige Kreatur in immer enger werdenden Kreisen durch die immer wärmer werdende Luft, bis ich den Dschungelgarten riechen konnte: jene Mischung aus grünem Leben und faulendem Holz mit dem Duft großer, wächserner, namenloser Blumen.
    Eine Zikkurat überragte düster die Bäume – und trug sie zugleich mit sich empor, denn sie entsprossen dem verfallenen Gemäuer wie Schwämme einem toten Stamm. Wir landeten weich auf ihrem Dach, und sofort näherten sich Fackeln und aufgeregte Stimmen. Ich war noch sehr matt von der dünnen, eisigen Luft, die ich soeben hatte atmen müssen.
    Aus den Krallen, die mich so lange getragen hatten, glitt ich in Menschenhände. Wir stiegen über Terrassen und Treppen und traten schließlich an ein Feuer, hinter dem ich das hübsche, ernste Gesicht von Vodalus und das herzförmige seiner Gefährtin Thea, unsrer Halbschwester, erblickte.
    »Wer ist das?« fragte Vodalus.
    Ich wollte die Arme heben, wurde aber daran gehindert. »Herr«, sagte ich, »Ihr müßt mich kennen.«
    Hinter mir versetzte die Stimme, die ich in der Luft gehört hatte: »Das ist der fragliche Mann, der Mörder meines Bruders. Für ihn habe ich – und hat Hethor, der mir dient – Euch gedient.«
    »Und weshalb bringst du ihn dann zu mir?« fragte Vodalus. »Er gehört dir. Meinst, wenn ich ihn erst gesehen hätte, würd’ ich unsre Abmachung bereuen?«
    Vielleicht war ich stärker, als ich mich fühlte. Vielleicht konnte ich den Mann zu meiner Rechten auch einfach nur überrumpeln; denn indem ich herumwirbelte, stieß ich ihn ins Feuer, daß unter seinen Füßen die brennenden Stücke nur so flogen.
    Agia stand mit entblößtem Oberkörper hinter mir, und hinter ihr stand Hethor, der sämtliche faulen Zähne zeigte, während er die Hände über ihre Brüste stülpte. Ich wehrte mich meiner Haut. Sie schlug mir mit der flachen Hand ins Gesicht – ein Ruck an der Wange, ein stechender Schmerz und dann warmes Blut.
    Inzwischen habe ich erfahren, daß die Waffe Lucivee heißt und Agia sie gehabt hat, weil Vodalus in seiner Anwesenheit ausschließlich bei seinen Leibwächtern Waffen geduldet hat. Es handelt sich hierbei lediglich um ein kurzes, schmales Eisen mit zwei Ringen für Daumen und Ringfinger und vier oder fünf runden Klingen, die sich in der geschlossenen Faust verbergen lassen; allerdings überleben nur wenige einen Streich damit.
    Ich war einer dieser wenigen. Als ich nach zwei Tagen erwachte, fand ich mich in einem kahlen Raum wieder. Vielleicht werden einem im Leben bestimmte Zimmer vertrauter als andere; bei einem Gefangenen ist das immer seine Zelle. Ich, der ich außerhalb so vieler Zellen gearbeitet und den Entstellten und Verrückten darin das Essen gebracht hatte, machte wiederum Bekanntschaft mit einer eigenen. Was die Zikkurat einst gewesen sein mochte, brachte ich nie in Erfahrung. Vielleicht tatsächlich ein Gefängnis; vielleicht aber auch ein Tempel oder die Stätte eines vergessenen Kults. Meine Zelle war in etwa doppelt so groß wie diejenige, die ich unter dem Turm der Folterer bewohnt hatte, nämlich sechs Schritt lang und zehn breit. Eine Tür aus einer uralten glänzenden Metallegierung stand, an die Wand gelehnt, offen; sie war wertlos für Vodalus’ Kerkermeister, denn sie ließ sich nicht bewegen. Eine neue, grob aus dem harten Holz eines Urwaldbaums gezimmert, verwehrte den Durchgang. Ein Fenster, das wohl nicht als solches gedacht gewesen war, eine runde, etwa armdicke Öffnung im oberen Teil der verblaßten Wand, sorgte für Licht.
    Drei weitere Tage waren verstrichen, ehe ich wieder genügend bei Kräften war, hinaufzuspringen und mich am unteren Rand festzuhalten und so emporzuziehen, um hinauszuschauen. An diesem Tag sah ich ein sanft gewelltes grünes Land mit bunten Schmetterlingen. Nun unterschied sich dieser Anblick so vollkommen von dem, womit ich gerechnet hatte, daß ich schon glaubte, den Verstand verloren zu haben, und vor Schreck am Fenster meinen Halt verlor. Wie ich schließlich feststellen konnte, waren es die weiten Wipfel mit ihren Feldern aus Blattwerk, wie sie sich hauptsächlich dem Auge der Vögel darboten.
    Ein alter Mann mit schlauer, böser Miene hatte meine Wange versorgt und den Verband am Bein gewechselt. Später brachte er einen etwa dreizehnjährigen Knaben, dessen Blutkreislauf

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