Die Zuckerbäckerin
du mir glauben,verehrte Katharina!« Wilhelms Stimme triefte vor Hohn, jedes seiner Worte hatte die Schärfe eines Schwertes. »Ich habe dir versprochen, daà ich ihn aufsuchen werde. Aber mich mit ihm aussöhnen? Das kann ich nicht einmal dir versprechen. Nie und nimmer kann ich vergessen, was er meiner Mutter angetan hat. Einer Mutter die Kinder wegzunehmen! Und uns die Mutter! Die anderen mochten noch zu klein gewesen sein, um ihren Verlust so grausam zu erfahren wie ich, aber glaube mir: Jahrelang habe ich darauf gewartet â Tag für Tag â, er möge sie zurückholen, wo immer sie auch war. Und als es dann auf einmal hieÃ, sie habe in der Fremde den Tod gefunden, wollte ich es nicht glauben. Meine Mutter â so heiter und liebenswert, so lebhaft und doch so zart wie eine Elfe â sollte tot sein? Noch heute weià ich nicht genau, was damals geschehen ist. Aber eines kann ich dir sagen: Und wenn ich hundert Jahre alt werde â die Erinnerung an Friedrichs Grausamkeiten wird immer in meinem Gedächtnis bleiben!«
Erst viel später, als Wilhelm längst wieder gegangen war, fiel Katharina ein, daà sie nicht dazu gekommen war, ihm von ihrem Ausflug in die Stadt zu erzählen. Nun, spätestens morgen würde sich sicher ein eilfertiger Geist finden, der ihm von ihren »Kapriolen« berichtete. Sie wuÃte, daà ihre Begegnungen mit dem Volk von vielen argwöhnisch betrachtet wurden. Trotzig setzte sie sich abermals in ihrem Bett auf. Es war nun einmal nicht ihre Manier, wie Mathilde den ganzen Tag lang über irgendwelchen Feinmalereien und Stickereien zu sitzen, verteidigte sie sich vor sich selbst. Obwohl sie in ihrer Jugend eine künstlerische Ausbildung bei Jegorov, dem »russischen Raphael«, wie er vielerorts genannt wurde, genossen hatte und gerne â und gut â malte, war die Kunst noch nie ihr vorderstes Anliegen gewesen. Die württembergische Königin bedauerte dies. Erst vor Tagen hatte Friedrichs englische Frau sie wissen lassen, daÃsie Katharinas ständige Ausflüge in die Stadt nicht für ratsam hielte. Auch ihre beinahe täglich stattfindenden Unterredungen mit Gelehrten der Stadt fand sie für die Frau des Thronfolgers unschicklich und auÃerdem unnötig. Statt dessen sei sie im Ludwigsburger SchloÃ, Mathildes ständiger Residenz, jederzeit willkommen, wenn ihr der Sinn nach etwas Abwechslung stünde. Als ob sie auf diese Weise jemals etwas von Land und Leuten erfahren könnte ⦠Katharina dachte an die unglaubliche Armut, die ihr in jeder Ecke von Stuttgart begegnet war: der armselige Wochenmarkt, die hohlwangigen Gesichter der Menschen, die ewige Bettelei der Kleinsten. Ob Friedrich oder Wilhelm wohl ernsthaft wuÃten, wie schlecht es um Württemberg bestellt war? Ihr fielen wieder die beiden Schwestern ein, die auf so grausame Art Vater und Mutter verloren hatten. Wie groà muÃte die Not der Menschen sein, wenn sich selbst rechtschaffene junge Leute nicht mehr anders zu helfen wuÃten, als ihren Hunger durch Diebereien zu stillen ⦠Zufrieden mit sich und der Tatsache, daà sie die beiden vor weiteren Schicksalsschlägen und gröÃerer Verderbnis gerettet hatte, löschte Katharina endlich das Licht und schloà hoffnungsvoll die Augen. Vielleicht waren die Geister der Nacht ihr heuerte wohlgesonnen und bescherten ihr einen ruhigen Schlaf? Zumindest das Kind in ihrem Bauch war friedlich und verschonte sie vor seinen ständigen StöÃen und Schubsereien. Doch bevor sie endlich einschlafen durfte, drängte sich ihr noch hartnäckig eine Frage auf: Hatte sie Wilhelm vielleicht absichtlich nichts von ihrem Ausflug und den beiden Diebinnen erzählt? Weil sie ahnte, daà er ihre Entscheidung, den beiden Arbeit zu geben, nicht gutheiÃen, ja, sie nicht im geringsten verstehen würde?
4
I n der ganzen Stadt läuten die Glocken! Die Kirchenglocken läuten!«
Atemlos, mit roten Ohren und blaugefrorener Nase kam Max, der Küchenjunge, hereingerannt. Den Eimer mit Essensresten, den er der Wache am Tor vorne abgeben sollte, trug er noch unter dem Arm. Verängstigt blickte er sich um. Er hatte seine ganze Familie im letzten Krieg verloren. Und hatten nicht jedes Mal beim Auszug der Soldaten die Glocken aller Kirchen geläutet?
»Jesus Maria!« Sophie, die neben Eleonore am Gemüsebrett stand, bekreuzigte
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