Die Zuckerbäckerin
bis zu achtzig Pfund Fleisch oder 25 Liter Suppe zubereiten konnte. Derweil Sonias Gesicht dabei von Tag zu Tag miÃmutiger geworden war, freute sich Eleonore an jedem Stück, das nach getaner Arbeit wieder goldrot glänzte.
In der Hauptküche war auch Johann beschäftigt, der Mann mit den kräftigen Armen, den Eleonore auf dem Markt zuerst gesehen hatte. Ihm als Hauptkoch unterstand die gesamte Küche. Obwohl er bei besonderen Anlässen auch einmal selbst Speisen zubereitete, bestand seine Aufgabe überwiegend darin, die anderen Köche zu überwachen, fertige Speisen zu kosten und abzuschmecken. Sein Urteil war ausschlaggebend dafür, ob eine Speise in den Anrichteraum kam, von wo aus die Speiseträger sie in Warmhaltebehältnissen weiterbeförderten, oder ob sie zurück in die Küche muÃte. Mindestens einmal pro Woche kam es dabei vor, daà er einem der Köche eine Ladung Suppe mitten ins Gesicht kippte, weil diese eine Spur zuviel oder zuwenig Salz enthielt. Hand in Hand mit Johann arbeitete Ludovika, auÃer Lili mit ihren SüÃspeisen die einzige Frau unter den Köchen. Dementsprechend stolz war Ludovika und verhielt sich gegenüber den anderen Frauen, die mit niederen Arbeiten beschäftigt waren, immer ein wenig von oben herab. Doch ganz so giftig, wie es anfangs den Anschein hatte, war sie Gott sei Dank nicht, stellte Eleonore nach einigen Tagen fest.
Dennoch herrschte in der Hauptküche wie auch in den anderen Abteilungen nur ein mühsamer Frieden. Mühsam deshalb, weil er tagtäglich aufs neue erkämpft werden muÃte. Immer wieder gab es Zänkereien und Eifersüchteleien. Auch nach der Ankunft der beiden Schwestern war die Ruhe wieder einmal gefährlich ins Wanken geraten, unddaran war hauptsächlich Sonia schuld: Es hatte nicht lang gedauert, bis sie herausfand, wie sie sich um zugewiesene Arbeiten drücken konnte, wie sich der eine oder andere Küchenbursche durch ein kokettes Augenzwinkern dazu bereit erklärte, Sonia frisches Wasser zu bringen oder einen Eimer mit Schmutzwasser nach drauÃen zu schleppen. AuÃerdem hatte sie schon nach wenigen Tagen erkannt, vor wem sie sich in acht nehmen muÃte, und so bemühte sie sich, weder von Johann noch von Ludovika beim MüÃiggang erwischt zu werden. Die beiden scheuten sich schlieÃlich nicht, Hand anzulegen und Faulheit mit blauen Flecken auszutreiben. Was andere von ihr dachten, scherte Sonia wenig. Die Weiber beäugten sie mehr oder weniger miÃtrauisch, trauten sich jedoch nicht, sie offen anzugreifen. Und die Männer, die in der Mehrzahl waren, hatte sie schon bald mit einem breiten Hüftschwung oder einem aufreizenden Augenaufschlag um den Finger gewickelt. Nur Leonard, der Rothaarige, schien ihren Reizen zu widerstehen, was Sonia zu Eleonores Verwunderung jedoch mit Gleichgültigkeit quittierte.
Leonard war weder Koch noch Küchenjunge, sondern für die Befeuerung sämtlicher Ãfen zuständig. Er muÃte dafür sorgen, daà regelmäÃig frisches Buchenholz aus den Holzmagazinen herangeschleppt wurde, und er überprüfte ständig den Vorrat an Holzkohlen, der für die offenen Feuerstellen benötigt wurde. Seine Arbeit führte ihn dabei in jeden der Küchenräume, und so bekam ihn auch Eleonore täglich zu Gesicht. Bei seinem Anblick wurde ihr regelmäÃig so heiÃ, daà sie keines Feuers mehr bedurft hätte. Nachdem er sie auf dem Markt als Diebin gefaÃt hatte, war einige Zeit vergangen, bis sie ihm direkt in die Augen blicken mochte, und auch er wich ihrem Blick aus. Dafür verfolgte sie ihn jedoch verstohlen aus den Augenwinkeln, wenn sie glaubte, er würde es nicht bemerken, was wiederum Sonianicht verborgen geblieben war. Eleonore seufzte. Wenn Sonia ihren schlauen Kopf doch nur dazu verwenden würde, ihr unendliches Glück zu erfassen, statt dieses immer wieder aufs Spiel zu setzen â¦
»Der König ist tot! Der König ist tot!« tönte es auf einmal vom hinteren Eingang der Küche her.
Im gleichen Augenblick stürzte Niçoise, die Zofe der GroÃfürstin, mit leuchtenden Augen in die Hauptküche.
»Eine Tochter ist geboren! Katharina hat einer Tochter das Leben geschenkt!«
5
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Stuttgart, 8. November 1816
Geliebte Maman,
wie Ihr wahrscheinlich schon aus anderem Munde erfahren muÃtet, ist Euer geliebter Bruder am 30. Oktober verstorben. Ja,
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