Die Zuckerbäckerin
ihre Angst verraten. Sie verharrte so lange reglos hinter der Tür, bis sie den Drang, Wasser zu lassen, nicht mehr aufhalten konnte. Nachdem sie den Pot de chambre benutzt hatte, setzte sie sich vor ihren heiÃgeliebten Spiegeltisch. Beim Anblick ihres Spiegelbildes wurde sie langsam wieder etwas ruhiger. So kopflos kannte â und mochte â sie sich nicht. Sie muÃte die Ruhe bewahren und nachdenken. Eigentlich war alles doch ganz einfach.
In ihrem Inneren wuÃte sie längst, was der Mann von ihr wollte. Was nutzte es, sich etwas anderes vorzumachen. Und sie wuÃte auch, von wem er geschickt worden war.
Melia. War er ihr Gehilfe? Angeheuert, ihr Angsteinzujagen, ihr Wilhelms Karte mit den verräterischen Worten abzunehmen?
Von den StraÃen drang betrunkenes Gelächter zu ihr hoch, fröhliche Schanklieder und Musikfetzen. Tränen der Wut liefen Sonia übers Gesicht. Was war nur geschehen? Vor wenigen Wochen noch hatte die Welt ihr gehört, und jetzt schien sie von ihr vergessen worden zu sein! DrauÃen in der ganzen Stadt feierten die Menschen den Jahreswechsel, während sie verlassen in ihrer Kammer saÃ, die Furcht als einzigen Kameraden. Das hatte sie weià Gott nicht verdient! Und wer war schuld an ihrer Misere? Melia Feuerwall und sonst niemand. Was hatte sie denn schon von ihr gewollt? Doch nur ein biÃchen am schönen Leben der gefeierten Schauspielerin teilhaben! Hatte sie dafür nicht geschwiegen wie ein Grab? Eine andere wäre längst mit ihrem Wissen durch die Stadt gerannt â Klatsch und böse Gerüchte an allen Ecken wären die Folge gewesen. Und was war Melias Dank? Ihr einen gedungenen Bösewicht auf den Leib zu hetzen, der sie einschüchtern sollte!
Sie lachte trocken auf. Nicht mit ihr! Was sollte das ganze Zittern und Jammern eigentlich? War sie denn von allen guten Geistern verlassen? Wenn Melia dachte, es würde ihr gelingen, sie mundtot zu machen, dann hatte sie sich getäuscht! Sie war nicht umsonst Columbinas Tochter â¦
Immer noch darauf bedacht, nicht durch unnötige Geräusche auf sich aufmerksam zu machen, kramte sie in der Schublade ihres Spiegeltisches nach einem Bogen Papier. Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie dem alten Gelehrten, mit dem Columbina eine Weile herumgezogen war, dankbar. Er, der immer so viel Aufhebens wegen Eleonores Namen gemacht hatte, hatte der StraÃenräuberin vorgeschlagen, gegen eine geringe Beteiligung an ihren Einkünften den beiden Mädchen das Lesen und Schreiben beizubringen. In der Hoffnung, daà diese Fähigkeiten ihr einmalbei ihrer Arbeit zugute kommen würden, hatte Columbina eingewilligt. Und so hatten die beiden Schwestern â Eleonore mit Eifer, Sonia nur widerwillig â Lesen und Schreiben gelernt.
Während sie sich mit dem eingetrockneten Deckel des Tintenfasses abquälte, wurden ihre Gedanken immer klarer. Sie würde sich nicht kleinkriegen lassen. Weder von Melia noch von ihrem Helfershelfer. Mochte Melia im Augenblick auch feiern und den Kopf hoch tragen wie eine Gans â ihre Zeit war längst abgelaufen. Sie wuÃte es nur noch nicht!
Ein hämisches Grinsen breitete sich auf Sonias Gesicht aus, als sie mit ungeübter Hand und tintennasser Feder Wort für Wort auf den zerknitterten Bogen Papier schrieb. Immer wieder lauschte sie zwischendurch mit hocherhobenem Kopf nach Geräuschen auf dem Gang. Doch da war nichts mehr â Gott sei Dank! Vielleicht hatte sie sich das Knacken auch nur eingebildet. Aber den Mann, der sie verfolgte hatte, den gab es â da war sie ganz sicher! Und deshalb muÃte sie sich jetzt beeilen.
Auf den Knien machte sie sich unter dem Fenster an der Holzleiste zu schaffen, die zwischen Boden und Wänden angebracht war. Endlich hatte sie ein Stück gelockert. Sie griff in die Ãffnung und holte ein Päckchen heraus. Bald hielt sie das Kärtchen in der Hand. Zusammen mit ihren Zeilen steckte sie es in einen Briefumschlag. Verflixt! Sie hatte keinen Siegellack! Sollte ihr Vorhaben daran scheitern? Sonia überlegte kurz, dann wickelte sie den Briefumschlag in ein Stück altes Papier und versteckte ihn in der Ãffnung. Es muÃte sein. Sie muÃte ihr Zimmer verlassen. Noch einmal atmete sie tief durch, dann öffnete sie mit einem Ruck ihre Tür. Nichts. Totenstille. Schnell rannte sie hinunter in den Amtsraum, wo tagsüber die Belange des Theaters
Weitere Kostenlose Bücher