Die Zuckerbäckerin
geregelt wurden. Schnell hatte sie eine Stange roten Siegellack gefunden, genauso schnell war sie wiederoben in ihrer Kammer. Doch dann muÃte Sonia erstaunt feststellen, daà das Anbringen des Lacks nicht so einfach war, wie sie es sich vorgestellt hatte. Als der Briefumschlag endlich mit einem dicken Klecks versiegelt war, schrieb sie vorsichtig mit groÃen Lettern den Namen des Empfängers auf die Vorderseite.
Sonia lehnte sich zurück und wartete vergebens auf ein Gefühl der Zufriedenheit und Genugtuung. Statt dessen tauchten neue Fragen auf: Wie sollte sie den Brief jetzt, mitten in der Nacht, loswerden? Was, wenn der Mann doch noch irgendwo drauÃen auf sie wartete? Sie starrte aus dem Fenster. Noch immer waren ungewöhnlich viele Menschen auf den StraÃen, viele davon mit Laternen, einige mit Fackeln. Daà die Silvesternacht jemals so gefeiert worden war, daran konnte Sonia sich nicht erinnern. Andererseits â wann hatte ein Jahreswechsel schon einmal etwas Gutes verhieÃen? Doch wie es aussah, schauten die Leute frohen Mutes ins nächste Jahr. 1819. Sonia zuckte mit den Schultern. Ihr war es gleich, welche Jahreszahl man schrieb. Aber die belebten StraÃen, die vielen Lichter â die kamen ihr gerade recht. Sie rechnete kurz nach: Es war noch nicht Mitternacht, denn die Kirchenglocken hatten bislang nicht geläutet. Das bedeutete, daà Lorchen oben in der Hofküche sicher noch mit ihren Kuchen zu tun hatte. Auch gut. Wenn ihre Schwester schon keine Zeit hatte, sie zu besuchen, dann würde Sonia eben ihr einen Besuch abstatten!
Nachdem sie sich ein letztes Mal vergewissert hatte, daà wirklich niemand im Gang auf sie lauerte, hastete sie â ihren dunklen Umhang umgeworfen, ein dunkles Tuch um den Kopf und den adressierten Briefumschlag in der Rocktasche â hinaus in die letzte Nacht des Jahres.
Sonia mischte sich unter die feiernden Menschen auf den StraÃen und lieà sich von ihrem Treiben mitziehen. So kamsie im Schutz der Menge kurze Zeit später am hinteren SchloÃtor an. Nachdem der Wachmann, der Sonia noch von früher kannte, sie eingelassen hatte, ging sie auf dem schnellsten Wege durch die teilweise unterirdisch gelegenen Gänge zur Zuckerbäckerei. Obwohl ihr sicherlich ein guter Grund für ihren Besuch eingefallen wäre, wollte sie nicht unbedingt Johann oder Ludovika über den Weg laufen. Warum sich unnötigen Fragen aussetzen? Doch das Glück schien in dieser Nacht auf ihrer Seite zu sein. Wie sie vermutet hatte, herrschte in den einzelnen Küchenabteilen noch rege Betriebsamkeit. Die Köche und ihre Helfer waren viel zu sehr beschäftigt, als daà sie von ihrer Arbeit aufgeschaut hätten.
Vor Eleonores Küchenabteil waren auf langen, schmalen Tischen mit silbernen Zuckerperlen verzierte Kuchen aufgereiht, die nur auf ein Zeichen von Martini warteten, um als letzter Gang aufgetragen zu werden. Unwillkürlich muÃte Sonia über Eleonores Geschick staunen: Aus Teig hatte sie die Jahreszahlen 1818 und 1819 geformt, die sich mit schönster RegelmäÃigkeit auf den Tabletts abwechselten. Der Geruch von gebackenem Marzipan und Zimt strömte von dem Gebäck aus, es stand in einem hübschen Kontrast zu der weiÃglänzenden, eleganten Zuckerkruste. Mit spitzen Fingern drückte Sonia tiefe Löcher in einige der Kuchen. Sofort begann die Zuckerkruste zu zerbröseln, und kleine Silberperlen kullerten auf den weiÃ-silbernen Porzellantellern davon. Sonias Augen funkelten kalt wie Polarsterne, als sie ihr Werk bewunderte. So war es schon viel besser. Zuviel Vollkommenheit konnte sie nicht ausstehen!
»Sonia! Was für eine Ãberraschung! Was machst du denn hier?« Mit schweiÃfeuchten Händen umarmte Eleonore ihre Schwester. Sonia lieà es steif über sich ergehen.
Sie zwang sich zu einem gnädigen Lächeln und einem leichtherzigen Plauderton, als sie Eleonore von derPremiere des neuen Stückes erzählte. Ihren eigenen Part schmückte sie dabei zu einer weiteren Hauptrolle aus. Eleonore lauschte mit runden Augen, während sie sich am Spülbecken zu schaffen machte. Der Stolz auf Sonia war ihr ins Gesicht geschrieben.
»Aber eigentlich bin ich nicht gekommen, um dich mit meinen Theatergeschichten aufzuhalten. Nein, sag nichts! Ich weiÃ, daà du unendlich viel zu schaffen hast und ich dir nur im Weg stehe.« Beschwörend hob sie die Hand,
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