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Die Zuckerbäckerin

Die Zuckerbäckerin

Titel: Die Zuckerbäckerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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die Hälfte gekürzt. Vielleicht hatte der Doktor die Dosis nur so hoch angesetzt, um kräftig an ihm zu verdienen? Vielleicht ging es Barbara auch mit der Hälfte des Mittels ganz gut? Er hatte einfach sehen wollen, was geschah. Die ersten Stunden hatte Barbara sich nicht anders verhalten als sonst, hatte in ihrem Bett gelegen, hin und wieder mit sich selbst geredet oder gelacht. Doch als Leonard sie zur Mittagszeit an den Tisch holen wollte, war’s mit dem Frieden vorbei gewesen. Sie hatte zu zittern begonnen, als habe sie keinerlei Kontrolle mehr über ihren Körper. Ihre Beine hatten sich so verkrampft, daß sie kaum einen Schritt machen konnte, mit ihrer rechten Hand hatte sie Leonard derart heftig am Arm gepackt, daß er laut aufschrie. Unverständliche Laute kamen aus ihrem Mund, ihr Kopf flog hin und her, und Leonard hatte nur gehofft, daß weder Martha noch Grete in diesem Augenblick zufällig vorbeikamen. Keine von beiden hätte er je wiedergesehen, hätten sie sein Weib in dieser Verfassung erlebt. Selbst Leonard war Barbaras Gestammel und Toben unheimlich gewesen. Endlich, nach einigem Ringen, hatte er sich aus ihrer eisernen Umklammerung befreien können. Das Opium! Die tobende Frau für einen Augenblick allein lassend, war er in die Schlafkammer gerannt, um die Flasche mit dem rettenden Pulver zu holen. Als er in die Küche zurückkam, blieb ihm fast das Herz stehen: Mit schwankendem Oberleib stand Barbara über Leas Wiege gebeugt. Doch bevor sie die Kleine hochheben konnte, sprach er sie mit scharfer Stimme an. Sofort drehte sie sich um, die Augen fragend und rund. Als Barbara die hochgehaltene Flasche sah, kam sie mit unsteten Schritten auf ihn zu. Ohne einen Löffel zu besorgen, hatte er ihr von dem Pulver auf die gierig herausgestreckte Zunge geschüttet. Erst dann war es ihm gelungen, sie wieder in ihr Bett zu führen. Zur Sicherheit hatte er an diesem Tag den Riegel vor die Tür ihrer Kammergeschoben. Nicht auszudenken, wenn sie Lea etwas angetan hätte, nur weil er schlauer sein wollte als der Doktor selbst!
    Â»Was macht das Kind?« Gschwend war mit einem frisch eingeschenkten Glas Wodka auf Leonard zugetreten.
    Â»Alles in Ordnung.« Leonard stand der Sinn nicht nach schönen Reden. Er wollte das Pulver und dann nichts wie heim.
    Â»Wie geht’s der Frau?«
    Â»Auch gut«, brummte er ungeduldig. »Ist’s ein Wunder bei dem ganzen Zeug, das sie schluckt?«
    Der Doktor kicherte. »Eine Prise davon würde deine Laune auch bessern. Dann würdest du genauso gackern und singen wie dein Weib! Jaja, eigentlich sind sie doch beneidenswert, die armen Irren: diese Sorglosigkeit, diese Einfalt!«
    Als habe er in einen Haufen schleimiger Schnecken gefaßt, wand sich Leonard hin und her. Mußte der Doktor in dieser Deutlichkeit über Barbaras Verfassung sprechen?
    Mit listigen Augen hielt Gschwend ihm das kleine Fläschchen hin. »Kannst froh sein, daß ich das Zeug so regelmäßig besorgen kann. In der Heimat wär’ das nicht so leicht, das kannst du mir glauben! Hier jedoch wächst die Pflanze, aus der sie das Pulver machen, an jeder Ecke.«
    Leonard hatte sich schon wieder zum Gehen gewandt. Keine Minute länger als nötig hielt es ihn hier, im Haus des Doktors. Wenn es ihm nur anders gelänge, an das Mittel zu kommen! Tausend Dinge konnte er für seinen Laden besorgen – doch woher er das verdammte, weiße Pulver bekommen sollte, fand er einfach nicht heraus. Und so war er abhängig von dem Doktor, genauso, wie Barbara von dem Pulver abhängig war.
    Was für ein Leben. Ihn schüttelte es, als habe er etwas Falsches gegessen. Wäre Lea nicht gewesen – er hättekeinen Augenblick gezögert, sondern wäre schon längst auf und davon, irgendwohin. Rußland war groß.
    Lea! Der Gedanke an sie ließ seine Schritte schneller werden. Er konnte es kaum erwarten, wieder bei seiner Tochter zu sein. Sie zu beschützen, sie vor allem Unbill des Lebens – und vor ihrer Mutter – zu bewahren war sein Lebensinhalt geworden. »Leonards«, sein Laden, war nur noch Mittel zum Zweck. Wenn er von frühmorgens bis spät in den Abend hinter der Ladentheke stand, tat er dies mit dem Wissen, Lea damit vor Hunger und Not zu bewahren. Wenn er sich um immer neue Waren für seine Kunden bemühte, um ihnen so die mühevollen Fahrten nach Odessa zu

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