Die Zuckerbäckerin
vermochte es, den Raum aufzuhellen. Die Bilder an den Wänden warfen unselige Schatten, der Baldachin ihres Bettes erschien ihr wie eine zusätzliche dunkle Wolke, die sie zu erdrücken drohte. Um wacher zu werden, setzte sie sich aufrecht hin, doch immer wieder fielen ihre Augen zu. Diese bleierne Schwere in ihren Gliedern kannte sie gar nicht! Dabei hatten die Neujahrsfeierlichkeiten nicht länger gedauert als andere Feste auch, schon um ein Uhr hatte sie sich zur Nachtruhe legen können. Und schlechter geschlafen als sonst hatte sie auch nicht. Sie zog eine Grimasse. Trotzdem fühlte sie sich heute früh wie erschlagen. Die Verführung, sich tief unter ihren Decken zu vergraben, war fast zu groÃ. Eine prächtige Art, das neue Jahr zu begrüÃen! Faulenzen wie ein Tagdieb! Allerdings hatte nicht auch sie einmal ein klein wenig Ruhe verdient? Die Buben und die beiden Prinzessinnen wuÃte sie bei Milena sehr gut versorgt, dringende Geschäfte gab es heute auch nicht zu erledigen, und Wilhelm würde sie sowieso nicht vor Mittag zu Gesichtbekommen. Was also sprach dagegen, sich noch ein wenig Schlaf zu gönnen?
Es klopfte sanft an ihrer Tür. Niçoise trat mit ihrem Morgenkaffee und der Post ein. Ein ganzer Stapel Dankesschreiben für Einladungen und neue Einladungen warteten auf ihre Beantwortung. Hastig blätterte sie die einzelnen Briefe durch. Wie schade â weder von Maria Feodorowna noch von ihrem Bruder war etwas dabei! Doch was hatte sie angesichts der unpassierbaren winterlichen StraÃen in RuÃland anderes erwartet? Dennoch legte sie den Stapel enttäuscht beiseite.
Nachdem sie Niçoise mit einem Neujahrsgruà entlassen hatte, genoà sie die erste Tasse Kaffee, dessen Geruch allein schon ausreichte, um ihre Lebensgeister wieder ein wenig anzufachen. Was würde das neue Jahr bringen? Noch waren die kommenden 365 Tage wie weiÃe, kleine Steinchen. Farblos, nackt, nichtssagend. Erst im Rückblick würden sie wie bunte Teile eines Mosaiks erscheinen, die zusammen ein farbenfrohes Motiv abgaben. Lag es nicht an ihnen selbst, den weiÃen Steinen Farbe zu geben, um am Ende eines Jahres ein besonders schönes Motiv zu erhalten?
Eigentlich konnte sie bisher ganz zufrieden sein. In den drei Jahren seit ihrer Ankunft in Württemberg hatte sie wirklich viel erreicht. Der Wohltätigkeitsverein, die Armenschulen, Kinderaufbewahrungsanstalten und nicht zuletzt die Beschäftigungsanstalten â alles gut besuchte Einrichtungen, die dazu beitrugen, die Armut im Land zu lindern. Aufseufzend starrte sie aus dem Fenster, gegen das immer noch der Regen schlug. Dem Himmel sei Dank, hatten die Bauern im letzten Sommer eine gute Ernte eingefahren! Eine weitere MiÃernte hätte den Tod vieler Menschen bedeutet, ohne daà auch nur eine von Katharinas MaÃnahmen daran etwas geändert hätte, das wuÃte sie. Die Armut zu verwalten hieà schlieÃlich nicht, sie zu bekämpfen!Sie schüttelte verwundert den Kopf. Erst jetzt, da sie sich endlich einmal Zeit für eine Rückschau gönnte, fiel ihr auf, daà eigentlich alle ihre Pläne recht erfolgreich waren. Allerdings war es ihr immer noch nicht gelungen, die grandiose Sammlung mittelalterlicher Gemälde der Gebrüder Boiserée für Württemberg zu erwerben. Für das kommende Frühjahr war zwar eine Ausstellung der wichtigsten Bilder hier in der Stadt geplant, doch die Summe, die die Brüder für den Erwerb der Kunstgemälde angesetzt hatten, war nicht unerheblich. Sie seufzte. Vielleicht würde der Ankauf dieses Jahr gelingen? Wenn sie nochmals alles durchrechnete â¦
Nun hielt sie es kaum noch im Bett aus. Doch sie zwang sich, liegenzubleiben.
Ruhe war für sie gerade jetzt äuÃerst wichtig. Für sie und das Kind in ihrem Bauch. Gedankenvoll schenkte sie sich eine neue Tasse Kaffee ein und trank ihn mit kleinen Schlucken. Sodann zwang sie sich, eines von Eleonores wunderbaren Rosinenbroten zu essen. Für sich und das Kind in ihrem Bauch. Wie reich wurde sie doch vom Schicksal beschenkt! Es war ihr nicht nur vergönnt, Württemberg eine Landesmutter zu sein â auch eigener Kindersegen blieb ihr nicht versagt. Diesmal würde sie Wilhelms heiÃersehnten Kronprinzen das Leben schenken, das spürte sie. Noch wuÃte er nichts von ihrer erneuten Schwangerschaft, sie hatte ganz sichergehen wollen, bevor sie ihm die gute
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