Die Zuckerbäckerin
Wilhelm, der sie immer wieder so abgrundtief seufzen lieÃ, daà sie bald die Hauptrolle in einem tragikomischen Theaterstück hätte spielen können?
Die Kutsche hatte schon abfahrbereit gestanden, als Maria Feodorowna ihre Tochter beiseite nahm, um sie von ihrem Gespräch mit Wilhelm in Kenntnis zu setzen. Katharina erinnerte sich noch genau an den Schock, den sie bei den Worten ihrer Mutter empfunden hatte: Nun wuÃte Wilhelm also, welch grausamen Tod seine geliebte Mutter hatte sterben müssen. Würde das Wissen ihn zu einem anderen Mann machen? Zu einem verbitterten Menschen? Nichts davon war eingetreten, und doch konnte sie sich diese Tatsache nicht mit Erleichterung eingestehen. Wilhelm ging seiner täglichen Arbeit so pflichtbewuÃt und beflissen nach wie zuvor. Den württembergischen Bauern zu helfen, die Landwirtschaft nach dem Katastrophenjahr 1816 wieder auf die Beine zu bringen war sein oberstes Ziel geworden. Und schon trugen seine Bemühungen die ersten Früchte: 1817 wurde im ganzen Land die frohe Kunde einer reichlichzu erwartenden Ernte gesungen. Seinem abwartenden und eher etwas nüchternen Naturell entsprechend, hatte Wilhelm diese ersten Erfolge nicht etwa überschwenglich gefeiert, sondern den unter seiner Leitung stehenden Landwirtschaftlichen Verein angewiesen, erst für das kommende Jahr ein vom König gestiftetes landwirtschaftliches Fest auszurichten. Nicht bereit, diese ersten, wichtigen Erfolge sang- und klanglos untergehen zu lassen, hatte Katharina daraufhin Johann, den Hauptkoch, beauftragt, zum Erntedankfest ein Festmenü auszurichten, in dem jede, aber auch wirklich jede Frucht und jedes Gemüse, welche im Land angebaut wurden, Verwendung fanden. Damit hatte sie Wilhelm â bei seiner Vorliebe für symbolträchtige Gesten â dermaÃen erfreut, daà er den ganzen Tag über ihre Hand hielt und nicht mehr loslassen wollte.
Und doch konnte dieser jetzt glücklich verbrachte Tag Katharina nicht darüber hinwegtäuschen, daà es keine tiefe Innigkeit mehr zwischen ihnen gab. Wilhelm war ihr gegenüber stets höflich und freundlich, unterstützte jedes ihrer Anliegen und nahm sich für Unterhaltungen mit Katharina sogar mehr Zeit als vor seinem Gespräch mit Maria Feodorowna. Den beiden Buben gegenüber zeigte er sich besonders freundlich, und die kleine Marie besaà seine ganze Liebe. Dennoch fielen ihr die Worte eines russischen Gedichtes ein: »Liebe ist wie eine Hand im kühlen, rauschenden Wasser: Solange die Hand offen ist, flieÃt ihr alles entgegen. SchlieÃt sie sich, greift sie ins Nichts.« Lag es womöglich an ihr, daà Wilhelm sich so distanziert verhielt? Hätte eine andere Gattin vielleicht eher die Gabe besessen, seine harte Schale zu knacken, seinen weichen Kern zum Vorschein zu bringen? Was sollte sie tun? Sie wuÃte sich keinen Rat. Bis auf einen. Erneut schraubte sie das Tintenfaà auf, holte Briefpapier hervor und tunkte ihre goldene Schreibfeder in die schwarze Tinte ein.
Sehr verehrter Graf Aschewujin,
aus einem Brief des Hofrats Butenew habe ich erfahren, daà Sie sich derzeit in Stambul befinden. Erinnern Sie sich noch an unsere Zusammentreffen in Radziwillow? Butenew meint, Sie würden es nicht als eine zu groÃe Mühe ansehen, für mich einige arabische Pferde zu erwerben. Ich liebe die Pferde auÃerordentlich und bemühe mich nach Kräften um die Verbesserung ihrer Rassen. Drei Hengste und drei Stuten von der allerbesten Rasse und ohne jeglichen Fehler würden nicht nur mir, sondern auch meinem verehrten Gemahl eine groÃe Freude bereiten. Besprechen Sie bitte mit unserem gemeinsamen Freund Butenew, wohin Sie die Tiere liefern sollen. Für Ihr liebenswürdiges Anerbieten sage ich schon heute vielen Dank und verbleibe
mit Hochachtung und Ergebenheit
Ihre Katharina.
Wenn man Wilhelm überhaupt eine Leidenschaft zuschreiben konnte, dann war es die zu edlen Rössern. Im Gegensatz zu seinem Vater, der im Laufe seines Lebens ein halbes Königreich an Geldern für den Pferdekauf investiert hatte, frönte Wilhelm dieser Leidenschaft jedoch nur in sehr beschränktem MaÃe. »Wie kann ich vom ganzen Land SparmaÃnahmen fordern, wenn ich selbst nicht dazu bereit bin«, hatte er Katharina erst unlängst geantwortet, als sie ihn auf die desolate Lage der Landesgestüte angesprochen hatte. Nun, die beim polnischen
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