Die Zuckerbäckerin
miteinander leben konnten, wuÃte er nicht. Einmal schob er Barbaras Launen auf den langen Winter, der auch andere schwermütig werden lieÃ. Dann wieder führte er Barbaras Launenhaftigkeit auf ein schlechtes Gewissen zurück, das sie wegen des veruntreuten Geldes hatte. Ihm selbst war jedenfalls nicht besonders wohl bei dem Gedanken, und er hatte sich fest vorgenommen, es den Pregianzern gegenüber irgendwann einmal wiedergutzumachen. Doch daà Barbara dieselben Skrupel hegte, bezweifelte er eigentlich. Vielleicht war sie auch einfach mit ihm als Ehemann unzufrieden? Obwohl â einen Grund zum Beklagen gab er ihr nicht. AuÃerdem war die ganze Sache doch sowieso ihre Idee gewesen! Sorgte er nicht für sie so gut oder besser, als jeder andere es getan hätte? Kümmerte er sich nicht Tag für Tag um ihr gemeinsames Geschäft?
Auch in dieser Hinsicht hatte Barbara recht behalten: Leonard verstand es, mit den Leuten umzugehen. Seine Kunden fraÃen ihm aus der Hand wie zutrauliche Lämmer ihrem Hirten. Viele hatten Leonard bereits auf der Ãberfahrt als gerechten und ehrlichen Burschen kennengelernt, aber auch Fremde faÃten schnell Vertrauen. Wer einmal bei Leonard eingekauft hatte, kam wieder und brachte dabei gleich Freunde, Nachbarn oder Bekannte mit. Der Leonard â das war einer, der wuÃte immer, was man wollte. Und deutsch konnte man auch mit ihm reden! Leonard selbst hatte erstaunt festgestellt, daà er mit der russischen Sprache kein Problem hatte: Er brauchte ein Wort nur zwei- oder dreimal zu hören, und schon war es ihm so geläufig wie das entsprechende in der Muttersprache. Die Russen freuten sich jedesmal, wenn der Schwabe mit ihnen auf russisch radebrechte, und sprachen ihm zuliebe langsamer und deutlicher als sonst.
Leonard erkannte, daà er die Zufriedenheit, die ihm alsBauer, auf der Wanderschaft und später als Holzträger im Stuttgarter SchloÃ, versagt geblieben war, nun als Kaufmann im russischen Carlsthal hätte finden können. Wenn nur ⦠Eilig wischte er diesen einen, besonders quälenden Geist beiseite und dachte statt dessen mit Schaudern an seine ursprünglichen Pläne: als Nachbar von Michael ein Stück Land zu bewirtschaften, um seinem Bruder auszuhelfen, wenn Not am Mann war. Vielen Dank! Dabei waren die württembergischen Bauern nicht schlecht bedient mit den Ländereien, die Zar Alexander ihnen zugewiesen hatte: Die Erde war fruchtbar und deren ErschlieÃung nicht so schwierig, wie man anfangs befürchtet hatte. Die meisten aus Leonards Kolonie hatten schon im vergangenen Herbst einen GroÃteil der Felder für das kommende Frühjahr vorbereitet und den Winter damit verbracht, die eilig zusammengeschusterten Hütten auszubauen und wohnhaft zu machen. Anders Michael: Er muÃte natürlich zuerst seine Hütte bauen, um im November festzustellen, daà der Boden über Nacht zu Eis erstarrt war und kein Umgraben, geschweige denn tiefergehende Ackerarbeiten mehr möglich waren ⦠Wenn es etwas in seinem Leben gab, das Leonard uneingeschränkt guthieÃ, dann war es die Tatsache, daà er sein Leben in RuÃland ohne Michael eingerichtet hatte. Er nahm einen tiefen Schluck. Langsam glitt die Flüssigkeit durch seine Kehle weiter nach unten und hinterlieà ein nicht unangenehmes Brennen. Trotzdem war Leonard von der Wirkung des Wodkas enttäuscht, denn selbst nach drei randvollen Bechern blieb eine Wahrheit immer die gleiche: Mochte Leonard auch noch so oft alle Gründe aufzählen, für die es dankbar zu sein galt, so machte doch alles seinen einzigen â seinen gröÃten â Verlust nicht wett: Eleonore. Während der ganzen beschwerlichen Reise hatte er sich mit dem Gedanken, Eleonore so bald als möglich nachkommen zu lassen, Mut gemacht. Auch als er den EntschluÃgefaÃt hatte, Barbaras Angebot anzunehmen und sie zu ehelichen, hatte er seltsamerweise das Gefühl gehabt, dies für Eleonore zu tun, damit den Grundstein für ihr späteres Nachkommen zu legen. Hatte nicht Barbara angedeutet, in ein paar Jahren könnten sie sich wieder trennen und jeder seines Weges gehen? Er lachte bitter. Wie hatte er so dumm sein können! Er spürte, daà sein Gesicht warm und rot wurde. War dies die Schamesröte oder der starke russische Branntwein? Damals auf dem Friedhof hatte die Geldgier ihn verstummen lassen, hatte er sich
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