Die Zuckerbäckerin
zufriedengegeben mit Barbaras fadenscheinigen Aussichten auf eine spätere Trennung. Doch schon da hätte er wissen müssen, daà dies nicht so einfach gehen würde. Verheiratet war nun einmal verheiratet, ganz gleich, ob der Bund in Württemberg oder RuÃland geschlossen wurde! Was würden die Leute dazu sagen, wenn er sich einfach von seinem Weib abwandte? Seiner Kundschaft muÃte er dann ade sagen, das wuÃte er. Sicher, er konnte davonlaufen, sich wegschleichen wie ein Dieb in der Nacht, die Hosentaschen voll mit ein paar Rubeln, verschwinden in der Weite der neuen Heimat. Aber wäre er damit seinem Wunsch, Eleonore wiederzusehen, auch nur einen Schritt nähergekommen?
Unter dem rauhen Stoff seines Hemdes knisterte ihr Brief. Ein Brief, in dem sie mehr als deutlich anklingen lieÃ, daà sie der Idee, ihm zu folgen, gar nicht mehr so ablehnend gegenüberstand wie noch vor Monaten. Der zaghaft die spärlichen Aussagen seines letzten Briefes beklagte. Ihr wäre klar, daà er für lange Briefe jetzt sicher keine Zeit mehr habe, hatte Eleonore geschrieben, doch müsse er wissen, daà sie sich über jede noch so kleine Nachricht von ihm freue. Mit der ihr eigenen Offenheit hatte sie geschrieben, daà weder die Zeit noch die Entfernung es vermocht hätten, ihre Liebe zu ihm auszulöschen. Trotzdem bereue sie ihren EntschluÃ, Sonia zuliebe in Württemberg geblieben zu sein,keinesfalls, denn in der Tat hätte es eine gute Wendung mit Sonia genommen. Nun, da diese ihren Weg gefunden zu haben schien, fühle Eleonore sich frei, ihr eigenes Glück zu suchen.
Leonard stöhnte laut auf. Wie sehr hatte er einen solchen Brief herbeigesehnt! Doch was war er jetzt noch wert? Barbara war schwanger, in wenigen Monaten würde sie seinen Sohn oder seine Tochter zur Welt bringen. Mit einem Funkeln in den Augen, das er nicht zu deuten wuÃte, hatte sie ihm diese Neuigkeit am Mittagstisch eröffnet. Und gelacht hatte sie dabei, als wäre sie von allen guten Geistern verlassen! Leonard fröstelte es plötzlich. Wie konnte er da an Eleonore denken? Das war Gottes Strafe, flüsterte ein kleiner Teufel ihm ins Ohr. Strafe? War es nicht vielmehr Gottes Wink mit dem Finger, um ihn an seine Verantwortung zu erinnern? Ohne mit der Wimper zu zucken, hätte er die vor Gott geschlossene Ehe Eleonore zuliebe miÃachtet. Nun sollte ein Kind daraus erwachsen â bei einer Ehe das Natürlichste von der Welt. Leonard hörte sich selbst höhnisch lachen: Es geschah ihm recht, daà er bei allen Ãberlegungen diesen einen Punkt übersehen hatte! Doch dann verwandelte sich sein Lachen in ein unkontrollierbares Schluchzen: Was sollte er nun Eleonore schreiben? Wie sollte er ohne sie weiterleben?
25
D ie letzte Seite war vollgeschrieben. Katharina schloà erschöpft und ein wenig wehmütig ihr kleines, ledergebundenes Notizbuch. Schon wieder galt es Abschied zu nehmen von einem liebgewonnenen Begleiter. Morgen würde sie Fräulein von Baur ein neues besorgen lassen. Es würde wieder Wochen dauern, bis das Leder beim Aufschlagen so nachgab, daà es glatt auf ihrem Sekretär liegenblieb. Und doch konnte Katharina es kaum erwarten, die nackten, glatten Seiten mit ihrer Schrift zu füllen. Das Notieren ihrer Gedanken und der Erlebnisse war ihr zu einem täglichen Ritual geworden. Ihre Schläfen pochten, als würde jemand von innen mit einem silbernen Hämmerchen dagegenschlagen. Hoffentlich waren das nicht die Vorboten der fürchterlichen Kopfschmerzen, die sie nach wie vor immer wieder plagten. »Ach Maman, wo seid Ihr, wenn ich Euch brauche?« Katharina fiel nicht auf, daà sie die letzten Worte laut gesprochen hatte. Drei Monate war es nun schon her, daà Maria Feodorowna zurück nach RuÃland gereist war. »Heimgereist«, wie sie selbst es nannte. Trotz allem Abschiedsschmerz konnte Katharina es gut nachvollziehen, daà ein Mensch völlig fremde Erde als seine Heimat und sein Zuhause bezeichnen konnte. Ihr selbst erging es mit Württemberg nicht anders: Sie war zwar erst seit zwei Jahren hier in Stuttgart, und doch hätte sie sich mit dem Land und seinen Leuten nicht vertrauter fühlen können, wäre sie hier geboren worden.
Warum nur fühlte sie trotzdem diese unendliche Leere, diesen tiefen Kummer in sich? Weil du undankbar, wehleidig und schwanger bist, schalt sie sich selbst. Trotzdem wollte die
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