Die Zufalle des Herzens
?«
»Grady, du weißt, dass es jedes zweite Wochenende ist«, sagte Kenneth vorsichtig. »Das heißt, es liegen zwei Wochen dazwischen.«
In der Hoffnung, in ihrem Gesicht Widerspruch gegen diese ganz und gar unglaubliche Rechnung zu finden, sah Grady seine Mutter an.
»Eher zwölf Tage«, sagte sie.
»Ach so.« Grady starrte einen Moment lang auf seine Reisetasche hinunter. »Na dann, bye«, murmelte er und steuerte, auf Strümpfen über die Bodenfliesen schlurfend, auf die Küche zu.
»Bye, Dad«, sagte Morgan. Sie umarmte ihn etwas verlegen und folgte Grady in die Küche. Kenneth sah ihnen nach.
»Alles in Ordnung?«, fragte Dana, die jetzt, wo die Kinder weg waren, er aber immer noch dastand, misstrauisch wurde.
»Absolut.« Er zog den Reißverschluss seiner Jacke noch einen Zentimeter höher und den Bund nach unten über die Hüften. Dana wartete, verärgert über seine Fummelei und die Tatsache, dass er nicht ging. »Ich kann vielleicht am Mittwoch vorbeikommen, wenn du länger arbeitest«, sagte er. »Hängt von zwei Vertretern ab. Ich geb dir Bescheid.«
»Danke«, sagte sie.
»Okay.« Seine Hand hielt für einen Moment den Türgriff fest, dann ging er.
Später am Abend tappte Dana durchs Haus, knipste Lichter aus und steckte die klebrigen Eisschälchen in die Spülmaschine. Plötzlich hörte sie ein Summen. Als sie sich umschaute, sah sie Morgans Handy auf der Theke liegen und nahm es in die Hand. Eine SMS von Kimmi war gekommen: OK IS ABER HIPPER MIT MEHR LEUTEN .
Was ist hipper? Dana war keine große SMS -Schreiberin. Sie konnte Morgans gelegentliche Nachrichten beantworten, wenn sie schrieb: BRING TURNSCHUHE HAB TURNEN VERGESSEN oder KANNST DU NACH SCHULE CELLO BRINGEN . Um herauszufinden, wie man sich den ganzen Dialog anschauen konnte, brauchte sie jedoch ein Weilchen. Zusätzlich gebremst wurde sie durch vorübergehende Skrupel, in einer privaten Unterhaltung herumzuschnüffeln. Aber was genau war mit mehr Leuten »hipper«?
SOLLN WIR MON ZUS ÜBERN 8 EN ?, hatte Kimmi sechs Stunden zuvor begonnen.
WO ? hatte Morgan geantwortet.
BEI MIR .
BEI MIR GÄBS TRIPLE CHOC BROWNIE MIX , bot Morgan an.
MJAM .
Dann drifteten die beiden in eine Diskussion über Triple-Chocolate-Brownies versus glasierte Ahornsirupplätzchen ab, in die sie wahllos Kommentare über ihre jeweilige momentane Beschäftigung einstreuten (von SCHEISSENGLISCH über SRRY BWD NÄGEL JETZT TROCKEN zu BRUDER HATTE HANDY GEKLAUT . IDIOT !).
Dann schlug Kimmi vor: KÖNNTEN KURZ ZU DEVYNNE RÜBER .
JA GEIL , antwortete Morgan. Doch dem folgte kurz darauf: MOM SAGT ABER SOLLN HIER PENNEN WEIL WIR DRAN SIND .
Kimmi fragte: MAGST DU DEVYNNE ?
JA KLAR , antwortete Morgan. VOLL COOL .
KANN DEV AUCH BEI DIR PENNEN ?
MOM WILL NUR EINE . Ein paar Runden lang beklagten sie das mangelnde Verständnis ihrer Mütter, und dann schlug Morgan vor, Devynne könne doch am Dienstagmorgen dazukommen. Dann hätten sie zu dritt noch den ganzen Tag vor sich. ALSO NUR DU & ICH MONTAGN 8, schloss sie.
Warum hatte Morgan es abgelehnt, Devynne auch einzuladen? Sie hatten schon oft drei oder vier Mädchen zum Übernachten dagehabt. Und warum hatte Morgan so hartnäckig auf ihrem Recht bestanden, die Gastgeberin zu sein, obwohl es Kimmi bei sich zu Hause offensichtlich lieber gewesen wäre? Dana lief ein leichter Schauer über den Rücken.
Jetzt mal langsam , sagte sie sich. Was kann schon groß dahinterstecken? Meine Güte, sie sind zwölf!
Morgan war recht behütet aufgewachsen (jedenfalls bis vor Kurzem, bis Kenneth ausgezogen war und das Behütetsein einen gewaltigen Knacks bekommen hatte), und diese Devynne klang etwas unabhängiger; womöglich war Morgan dadurch eingeschüchtert. Vielleicht war es auch Noras gelegentliche Schroffheit – sie hatte Kimmi wegen des Backens ziemlich zusammengestaucht und achtete offensichtlich sehr auf das Gewicht ihrer Tochter (obwohl das Mädchen dünn wie eine Bohnenstange war). Die Schlussfolgerung, die Morgan mit ihrem eher etwas rundlichen Bäuchlein daraus ziehen musste, genügte wahrscheinlich, um sie nervös zu machen.
Sie ist verunsichert , beruhigte sich Dana, schaltete die Lichter aus und ging ins Bett.
Am nächsten Tag verflogen ihre Bedenken wegen der SMS , da sie sich ganz darauf konzentrierte, sämtliche Notfälle zu durchdenken, die eintreten könnten, wenn sie am Dienstag die Kinder allein zu Hause ließ und zur Arbeit ging. Der Veteranentag gehörte zu den weniger strikt eingehaltenen
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