Die Zufalle des Herzens
Appell. Streck die Hände nach mir aus, Daddy.
Doch das hatte er nie getan und würde es nie tun, was sie allerdings nicht daran hinderte, es sich zu wünschen, selbst jetzt noch. Selbst als Mittvierzigerin mit eigenen Kindern, für die sie sorgen musste, hätte sie fast alles dafür gegeben, die liebkosenden Hände ihres Vaters auf ihren Wangen zu spüren, diese selbstlose Sorge um ihr Glück in seinem Blick zu sehen. Die Anspannung in ihrer Kehle breitete sich bis in den Kiefer aus, sodass sie die Lippen zusammenpresste, um sie zu bezwingen.
Tonys Hände sanken auf den Tisch, und sie merkte, dass er sie ansah. Es war unangenehm, derart ertappt zu werden. Sie musste reagieren, also holte sie tief Luft, um sich zu fangen, und murmelte: »Sie sind so ein guter Vater.«
Nun war es an ihm, verlegen zu werden, er zog leicht eine Schulter hoch und erwiderte: »Dazu kann ich nichts sagen â¦Â«
»Natürlich sind Sie das«, sagte sie leise. »Das kann jeder sehen.«
»Sie fehlen mir einfach.« Er nahm seine Gabel und schob die letzten Pommes frites auf dem angeschlagenen Teller herum. »Sie sind jetzt selbstständige Menschen, sind in die Welt hinausgegangen, um Gutes zu tun und gute Menschen zu finden, mit denen sie zusammen sein wollen.« Er hob den Blick zu Dana. »Aber manchmal â Herrgott, da fehlen sie mir so.« Seine Miene war ruhig, aber die Traurigkeit war so greifbar, dass Dana sie spüren konnte, als wäre es ihre eigene.
Und wie sie ihn so über den Tisch, über die Gewürzmischungen und kalten Essensreste hinweg ansah, hatte sie das Gefühl, das ganze Ausmaà seines Vaterseins ermessen zu können â die überschäumende, ausgelassene Freude, die bedrückende Sorge, das Aufblitzen von Wut und Gelächter, von Verwirrung und Ãberraschung, eine so elementare und unauslöschliche Liebe, dass sie ihm in jede Körperzelle geschrieben war. Sie nickte und konnte sich gerade noch verkneifen, ihre Hand nach seiner auszustrecken und sie zu drücken â aus Anerkennung oder Solidarität, vielleicht auch aus Sympathie. Morgan und Grady waren schlieÃlich noch bei ihr, und dass sie es nicht mehr wären, konnte sie sich ebenso wenig vorstellen wie ihren eigenen Tod.
Die Intensität dieses Augenblicks erwischte Dana unvorbereitet, und sie riss sich davon los, indem sie ihre Aufmerksamkeit einer Birke zuwandte, die sich tief über den Weiher neigte. Die Wasseroberfläche, die sich durch den Platzregen in ständiger Bewegung befand, sah aus, als versuchte sie, unablässig hochzuspringen und die herabhängenden Blätter zu berühren. Ein weniger vertrauliches Lächeln im Gesicht, blickte sie ihn wieder an. Er folgte ihrem Beispiel.
»So«, sagte er und warf die zusammengeknüllte Serviette auf seinen Teller. »Was steht denn am Wochenende an?«
Kenneth sei mit den Kindern dran, sagte sie, und Alder sei dem Wilderness Club in der Schule beigetreten. Sie würde am Sonntag am Mount Frissell, dem höchsten Gipfel Connecticuts, eine Wanderung machen.
»Jetzt weià ich von jedem Mitglied Ihrer Familie, was es an diesem Wochenende macht, nur von Ihnen nicht«, neckte er.
»Ach, nicht viel. Die ganzen Sachen nachholen, die jetzt unter der Woche nicht mehr erledigt werden«, sagte sie sanft. »AuÃerdem habe ich eine Verabredung.«
»Ach?« Tony nickte aufmunternd. »Derselbe Mann wie neulich?«
»Derselbe.« Sie zuckte die Schultern und wünschte sich, sie hätte das gar nicht erwähnt. Mit Tony über Jack zu reden, fühlte sich seltsam unbehaglich an.
Tony verstand den Wink nicht. »Dann müssen Sie ihn ja mögen«, bohrte er leutselig weiter. Er fragte sie, wie sie sich kennengelernt hätten und wohin sie bei ihren Verabredungen gegangen seien. »Und was mögen Sie an ihm?«
»Also«, sagte Dana, bemüht, mit etwas anderem aufzuwarten als Er mag mich wirklich . »Er ist sehr ⦠positiv. Wenn etwas ihm gefällt, dann begeistert er sich dafür. Er überanalysiert nicht.«
»Gut«, sagte Tony nickend. »Und was mögen Sie am wenigsten an ihm? Ich wette, das ist schwieriger.«
So schwierig war es gar nicht. Er ist so was wie ein Elefant im Porzellanladen , hätte sie fast gesagt. Das klang jedoch nicht besonders nett. Und ganz bestimmt würde sie nicht erwähnen, welchen Spaà es ihm machte, das vom
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