Die Zufalle des Herzens
kamen herein wie Flüchtlinge, schüttelten Tropfen von ihren Jacken und Schirmen, machten die Polster und die Luft feucht. Bevor sie gingen, wappneten sie sich gegen das stroboskopartig durch den Platzregen zuckende Gewitter.
»Dana!«, rief Tony ungefähr um halb zwölf aus seinem Büro. Sie kürzte die Abschiedsplauderei mit einer Patientin ab und eilte an seine Tür.
»United Dental hat seine Richtlinien für Versiegelungen geändert â habe ich vergessen, Ihnen das zu sagen?«
»Oh, ich ⦠ich glaube nicht, dass Sie es erwähnt haben, aber â¦Â«
»Es ist meine Schuld«, murmelte er, ihre begonnene Entschuldigung mit einer Handbewegung wegwischend. »Können Sie die hier noch einmal einreichen?« Während er ihr die Rechnungen übergab, wandte er sich wieder seinem Bildschirm zu. Sie nahm die Papiere und ging.
Marie kam an die Anmeldung, um den nächsten Patienten in den Behandlungsraum zu bitten. Bevor sie die Tür zum Wartezimmer öffnete, wies sie mit dem Kopf auf die Tür von Tonys Büro und murmelte in Danas Richtung: »Nehmen Sie es nicht persönlich. Er ist heute einfach nicht gut drauf.«
Dana lächelte sie erleichtert an. »Ich dachte schon, es läge an mir!«
»Wennâs an Ihnen liegt, merken Sie es.« Marie schob die Tür auf. »Mr Kranefus?«
Die Hände auf die Armlehnen seines Stuhls gestützt, rappelte ein älterer Mann sich hoch. »Ist das nicht ausgesprochen gefährlich?«, brummte er Marie an, während er langsam auf sie zuging. »Bei Gewitter soll man keine elektrischen Geräte benutzen.«
»Das Gebäude ist geerdet, Mr Kranefus«, lieà Marie ihn wissen. »Dr. Sakimoto würde Sie nie einer unzumutbaren â¦Â«
Es ertönte ein Donnerschlag, der dazu gedacht zu sein schien, ihre Rippen durchzurütteln, und dann waren sie in Dunkelheit gehüllt, das einzige Licht ein grauer Schimmer, der schwach durch die groÃe, gläserne AuÃentür fiel. Eine weitere donnernde Explosion erleuchtete die Praxis mit einem kalten Blitz, der für den Bruchteil einer Sekunde Dana hinter ihrem Schreibtisch, Marie in der Tür und Mr Kranefus mit seinen vor sich gefalteten Händen erkennen lieÃ. »Dank sei dem Allmächtigen«, flüsterte er.
Marie half ihm in den Mantel und reichte ihm seinen leicht deformierten Filzhut. Er war schon weg, als Tony, das Handy ans Ohr gedrückt, aus seinem Büro kam und sagte: »Okay ⦠gut ⦠Sagen Sie denen da drauÃen, sie sollen vorsichtig sein.« Er klappte sein Handy zu. »Transformator kaputt â der ganze Häuserblock liegt im Dunkeln«, berichtete er ihnen. »Ich glaube, die restlichen Termine sagen wir ab.« Das klang, als stellte er es zur Abstimmung, sodass sie zustimmend nickten.
Dana rief über ihr Handy die für den Nachmittag bestellten Patienten an, während Tony und Marie die Geräte verstauten und die Instrumente zum Sterilisieren zusammensuchten. Marie ging, als Dana gerade ihren letzten Anruf tätigte.
»Die meisten habe ich erreicht«, sagte sie zu Tony, als er, die Jacke übergestreift, an ihren Schreibtisch trat. »Bei drei oder vier Nummern habe ich eine Nachricht hinterlassen.«
»Kein Problem«, sagte er. »Ich hatte sowieso vor, nach dem Mittagessen noch mal herzukommen. Dann bringe ich aus meinem Kofferraum eine Campinglaterne mit und erledige endlich mal den Papierkram, der mich schon seit Wochen verfolgt.«
»Gehen Sie wohin zum Essen?«
»Ja, haben Sie Lust, mich zu begleiten? Ich hatte mir gedacht, ich esse drüben im Keeneyâs einen Burger. Im Ernst, warum kommen Sie nicht mit?« Er lächelte sie aufmunternd an, doch dahinter konnte sie die Abgespanntheit sehen und eine Art von Melancholie. Irgendetwas stimmte nicht. Vielleicht brauchte er Gesellschaft.
Während sie ihm im Auto durch die sturmgepeitschten StraÃen zum Nipmuc Pond folgte, dachte sie noch einmal darüber nach. Sie sollte kein Geld ausgeben, wo sie doch neben sich auf dem Beifahrersitz einen Joghurt, einen Apfel und eine kleine Tüte Karotten liegen hatte, was völlig ausreichte. Zu spät, um abzuspringen , sagte sie sich. AuÃerdem klang Burger so gut.
»Das geht übrigens auf mich«, sagte Tony, als sie sich für einen Tisch an der Fensterfront entschieden.
»Auf keinen Fall!«
»Auf jeden Fall«, beharrte er.
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