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Die Zufalle des Herzens

Die Zufalle des Herzens

Titel: Die Zufalle des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fay Juliette
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anderem als dem Glauben ihrer Mutter an sie bewaffnet, was in der primitiven Welt vorpubertärer Mädchen so gut wie nichts galt. Unfähig, die Augen länger als eine Minute geschlossen zu halten, warf sie die Bettdecke von sich, ging hinunter in die Küche, goss sich ein großes Glas zuckerfreie Limonade ein und riss eine Tüte Kartoffeln auf.
    Es war ein größerer Berg, als sie ihn je zuvor gemacht hatte, und er schimmerte auf dem Teller, lauter Yukon-Goldklumpen, wie zur Segnung mit Öl besprenkelt. Jeder Bissen war eine verführerische Ablenkung von ihren Sorgen, und erst als sie mit dem Rücken ihrer Gabel die letzten knusprigen braunen Krümel zerdrückte, merkte sie, wie schwer und überladen ihr Magen sich anfühlte, so als hätte sie statt Bratkartoffeln Kugellager in Motorenöl gegessen. Diese neue Empfindung war keine Ablenkung mehr, sondern verstärkte nur ihre Unruhe.
    Das ist unkontrolliertes Essen , kam ihr der entsetzliche Gedanke. Ich mache es auch . Klirrend ließ Dana die Gabel auf den Teller fallen, den sie anschließend so heftig wegstieß, dass er beinahe über den Rand des Küchentischs gerutscht wäre. Schließlich gab sie den herzzerreißenden Schluchzern, die den ganzen Tag schon loszubrechen gedroht hatten, freien Lauf.
    Nachdem die Tränen versiegt waren, legte sie den Kopf auf den Tisch, die Wange fest auf das harte, kühle Holz gepresst. Ihr Denken verlangsamte sich, und sie spürte, wie eine Leere sie überkam, die an Erleichterung grenzte, aber auch etwas beängstigend war. Sie fragte sich, ob sie überhaupt noch über irgendetwas Gewissheit haben konnte oder ob alles nur Lügen gewesen waren, die sie sich selbst erzählt hatte, um sich normal fühlen zu können – die Zufriedenheit ihrer Kinder, Pollys Loyalität, Kenneths Liebe, ihre eigene Selbstbeherrschung. Alles weg.
    Dann kam ihr ein merkwürdiger Gedanke – sie hatte den Wunsch, ja sogar das Bedürfnis herauszufinden, wie alles so gekommen war. Sie wollte verstehen, wie das, was früher wahr gewesen war, sich in das verwandelt hatte, was jetzt wahr war. Es war an der Zeit weiterzugraben, zu den tiefer liegenden Wahrheiten vorzudringen.
    So war sie zum Beispiel immer eine fürsorgliche Mutter gewesen, aber machte sie das wirklich zu einer guten Mutter? Gebe ich Morgan, was sie braucht? , fragte sie sich. Verstehe ich sie wirklich? Was sie sicher nicht verstand, war dieses Bedürfnis, das Morgan hatte, mit Gewalt Essen aus ihrem Körper hinauszubefördern. Dana sah keinen Sinn darin, und dennoch wünschte sie sich sehnlichst, es zu verstehen. Wie konnte etwas so Widerliches sich nur gut anfühlen?
    Sie ging in den Keller, weit weg von den schlafenden Kindern, in die kleine Toilette neben dem Heizungsraum. Vor der alten, rostbefleckten Kloschüssel kniete sie sich hin, klappte die Brille hoch und starrte in die Schüssel. Kaum hatte sie sich den Finger hinten in die Kehle gesteckt, musste sie würgen, der Magen hob sich, die Zunge ging reflexartig nach oben, um die Invasion abzuwehren. Es war ein scheußliches Gefühl, aber sie steckte den Finger wieder und wieder hinein, und jedes Mal krampfte ihre Bauchmuskulatur wie ein überhitzter Motor. Schließlich kam etwas Flüssigkeit hoch und schoss in die Kloschüssel.
    Okay, gut, ich hab’s gemacht . Die hochgeschwappte Flüssigkeit hatte jedoch ihren Würgereflex ausgelöst, und jetzt brachen in unkontrollierbaren Stößen zerkaute Kartoffeln aus ihrem Mund heraus und platschten ins Toilettenwasser, das ihr ins Gesicht spritzte. Der Geruch von etwas, das einmal Gemüse gewesen war, jetzt aber eher ranzigem Käse glich, überwältigte ihre Nase. Sie hielt den besudelten Rand der Kloschüssel umklammert, damit die Spasmen sie nicht kopfüber ins Wasser trieben. Halt! Um Himmels willen, halt!
    Schließlich hörte ihr Magen auf, sich krampfartig zusammenzuziehen, und ohne sich darum zu scheren, dass ihre Haare in das Erbrochene unter ihr hineinhingen, atmete sie tief durch. Dann grapschte sie blindlings nach dem Klopapier und riss einen langen Streifen ab, mit dem sie sich das Gesicht abwischte. Erschöpft stand sie langsam auf und ging zum Waschbecken, um sich sauber zu machen.
    Verstehen kann ich es immer noch nicht , dachte sie. Aber wenigstens weiß ich jetzt, wie es ist.
    Obwohl Dana ihren Zähnen eine Art Strafbürstung

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